Kopernikus 4
geben, in denen sich Angst und Trotz vermischten, als der Killer auf ihn herabstieß.
Ich mußte einfach zusehen. Ich hatte noch nie zuvor einen Beuteriß gesehen.
Plump, aber erstaunlich wirkungsvoll grub der Tyrannosaurus seine hinteren Klauen in den Boden, drehte sich ganz unerwartet, bewegte sich, den massiven Schwanz als Gegengewicht benutzend, in einem Neunzig-Grad-Bogen und schlug den Korythosaurus mit einem ungeheuren seitlichen Schlag seines enormen Schädels zu Boden. Das hatte ich nicht erwartet. Der Korythosaurus stürzte und lag auf der Seite, ächzte vor Schmerzen und wedelte matt mit seinen Gliedern. Jetzt kam der Gnadenstoß mit den Hinterbeinen und dann das Zerfetzen und Zerreißen, und dabei kamen schließlich auch die Kiefer und die winzigen Arme ins Spiel. Bis ans Kinn im Schlamm vergraben, sah ich voller Angst und unheimlicher Faszination zu. Einige von uns sind der Ansicht, man sollte die Carnivoren separat halten – auf ihrer eigenen Insel –, denn es sei töricht zuzulassen, daß derartig mühselig geschaffene Rekonstrukte so beiläufig abgeschlachtet werden. Vielleicht hatte diese Auffassung am Anfang etwas für sich, aber jetzt nicht mehr, nicht wenn die natürliche Vermehrung die Insel rapide mit jungen Dinos füllt. Wenn wir etwas über diese Tiere lernen wollen, dann geht das nur, wenn wir ihre ursprünglichen Lebensbedingungen so naturgetreu wie möglich wiederherstellen. Außerdem – wäre es nicht grausamer Spott, unsere Tyrannosaurier mit Hamburgern und Heringen zu füttern?
Der Killer fraß mehr als eine Stunde lang. Schließlich kam der furchterregende Augenblick: Belsazar hievte seine Massen blutverschmiert und aufgequollen zum Seeufer, um zu trinken. Er stand höchstens zehn Meter weit weg von mir. Ich versuchte, so überzeugend ich konnte, einen verfaulenden Baumstamm nachzumachen, aber der Tyrannosaurus hatte, obwohl er mich mit einem seiner winzigen Äuglein zu betrachten schien, keinen Appetit mehr. Noch lange, nachdem er verschwunden war, blieb ich im Schlamm vergraben, aus Angst, er könnte zum Nachtisch noch einmal zurückkommen. Und schließlich krachte und splitterte es wieder im Wald – aber diesmal war es nicht Belsazar, sondern ein Jüngerer mit einem lahmen Arm. Er stieß eine Art von Wiehern aus und machte sich über den restlichen Kadaver des Korythosaurus her. Wir wußten schon von unseren Beobachtungen her, daß Tyrannosaurier nichts gegen Aas hatten.
Ich übrigens auch nicht.
Als die Luft rein war, kroch ich aus dem Schlamm und fand, daß die beiden Tyrannosaurier Hunderte von Kilos Fleisch übriggelassen hatten. Hunger kennt keinen Stolz und nur wenige Bedenken. Ich benutzte eine Muschelschale als Messer und fing an, an dem Korythosaurus herumzuschneiden.
Korythosaurusfleisch hat ein seltsam süßliches Aroma- wie Muskat und Nelken und eine Spur Zimt. Den ersten Bissen brachte ich nicht hinunter. Du bist ein Pionier, sagte ich mir und übergab mich. Du bist der erste Mensch, der Dinosaurierfleisch ißt. Ja, aber warum muß es roh sein? Das war nicht zu ändern. Bleib’ gelassen, Liebling. Besiege deinen Würgereflex oder stirb bei dem Versuch. Ich tat, als äße ich Austern. Diesmal ging das Fleisch hinunter. Aber es blieb nicht dort. Die Alternative, sagte ich mir grimmig, ist eine Diät aus Farnsprossen und Fröschen, und im Fröschefangen warst du nicht besonders gut. Ich versuchte es noch einmal. Erfolg!
Ich würde sagen, daß man sich an Korythosaurusfleisch erst gewöhnen muß. Aber die Wildnis ist kein Ort für wählerische Esser.
23. August, 13.00 Uhr. Gegen Mittag fand ich mich auf der südlichen Halbkugel, am Rande des Morastsumpfes, etwa hundert Meter unterhalb des Äquators. Herdenverhalten der Saurier beobachtet: fünf Brachiosaurier, zwei Erwachsene und drei Junge in Formation, die Kleinen in der Mitte. Mit klein meine ich: nur etwa zehn Meter von der Nase bis zur Schwanzspitze. Bei dem Appetit, den die Saurier haben, werden wir diese Herde auch bald ausdünnen müssen, vor allem, wenn wir noch einen weiblichen Diplodocus in die Kolonie einführen wollen. Wenn zwei Saurierarten sich so vermehren und fressen, ist die Insel in drei Jahren verwüstet. Niemand hat damit gerechnet, daß Dinosaurier sich vermehren wie die Kaninchen – eine weitere Folge ihrer Warmblütigkeit, nehme ich an. Aufgrund der ungeheuren Menge von Fossilien hätten wir es uns allerdings denken können. Wenn so viele Knochen die Katastrophen von einigen hundert
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