Kopernikus 4
für ein phantastischer Ort!
Ich bin überhaupt nicht müde. Ich habe nicht einmal Angst – ich bin nur ein bißchen wachsam.
Ehrlich gesagt, ich bin richtig fröhlich.
Hier sitze ich und betrachte durch die Farnwedel hindurch eine Szene aus den Morgenstunden unserer Zeit. Es fehlen nur noch ein oder zwei Pteranodonsaurier, die am Himmel dahinflattern, aber die haben wir noch nicht wieder zurückgebracht. Das klagende Schniefen der großen Brachiosaurier kommt trotz der dicken Luft ganz klar zu mir herüber. Die Struthiomimen machen wohlklingende Trompetengeräusche. Es wird schnell Nacht, und die großen Gestalten dort draußen umgeben sich mit einem traumartigen urzeitlichen Zauber.
Es war schon eine brillante Idee, die im Olsenverfahren rekonstruierten Dinosaurier auf einen eigenen kleinen L5-Wohnsatelliten zu verfrachten und sie dort freizulassen, um so ein neues Mesozoikum zu schaffen. Nach dem unglücklichen Zwischenfall mit dem Tyrannosaurus in San Diego war es politisch nicht mehr ratsam gewesen, sie irgendwo auf der Erde zu halten, das weiß ich; aber auch so ist dieses System hier viel besser. In wenig mehr als sieben Jahren hat Dino Island einen sehr überzeugenden Anschein von Echtheit angenommen. Alles wächst so schnell in dieser üppigen, dampfenden, stark C02-haltigen Tropenatmosphäre! Natürlich waren wir nicht in der Lage, die tatsächliche Flora des Mesozoikums zu duplizieren, aber wir haben es schon ganz gut hinbekommen; wir haben Überlebende aus der Botanik verwendet, Sagopalmen, Baumfarne, Schachtelhalme, Palmen, Ginkgos und Araukarien, und den Boden haben wir mit dichten Teppichen aus Moosen und Moosfarnen und Leberblümchen bedeckt. Alles ist ineinandergewachsen und hat sich vermischt – ein richtiger Amoklauf. Man kann sich jetzt kaum noch vorstellen, wie kahl und unnatürlich die Insel aussah, als wir sie anlegten. Heute ist sie ein nahtloser Teppich in Grün und Braun, ein dichter Dschungel, durchbrochen nur von Bächen, Seen und Wiesen und umhüllt von sphärischen Metallwänden mit einem Umfang von etwa fünf Kilometern.
Und die Tiere, diese wunderbaren, phantastischen, grotesken Tiere.
Wir behaupten nicht, daß es im echten Mesozoikum jemals eine solche Mischung der Fauna gegeben hat, wie ich sie heute gesehen habe: Stegosaurier und Korythosaurier Seite an Seite, ein Triceratops, der wütend einen Brachiosaurus anfunkelt, und Struthiomimus als Zeitgenosse des Iguanodon, kurz, ein wildes, unwissenschaftliches Durcheinander von Trias, Jura und Kreide, hundert Millionen Jahre des Dinosaurierreiches zusammengekratzt. Aber wir nehmen, was wir bekommen können. Bei der Rekonstruktion im Olsen-Verfahren benötigt man genügend fossile DNS, um die Computersynthese durchführen zu können, und die haben wir bis jetzt nur in etwa zwanzig Arten finden können. Es ist ein Wunder, daß wir überhaupt soviel zustande gebracht haben: Wir haben das komplette DNS-Molekül aus bruchstückhaften und vagen genetischen Informationen, die Millionen Jahre alt sind, nachgebaut; wir haben die komplizierten Implantationen in reptilische Wirtseier durchgeführt; wir haben die Embryos durchgebracht, bis sie sich selber erhalten konnten. Das einzige Wort, das hier paßt, ist wunderbar. Wenn unsere Dinos aus Perioden kommen, die Millionen Jahre auseinanderliegen – in Ordnung. Wir tun unser Bestes. Wenn wir keinen Pterosaurus haben und keinen Allosaurus, keinen Archäopteryx – in Ordnung. Vielleicht kriegen wir sie noch. Das, was wir schon haben, ist reichlich genug, um damit zu arbeiten. Vielleicht gibt es eines Tages separate Trias-, Jura- und Kreidesatelliten, aber ich vermute, das wird niemand von uns mehr erleben.
Jetzt ist es völlig finster. Draußen kreischt und zischt es geheimnisvoll. Heute nachmittag, als ich vorsichtig, aber guter Dinge von der Unglücksstelle bei der Rotationsachse zu meinem jetzigen Lager am Äquator zog und dabei manchmal bis auf fünfzig oder hundert Meter an lebende Dinos herankam, empfand ich eine Art von Ekstase. Jetzt aber kommen meine Ängste wieder zurück, und auch mein Zorn über diese blödsinnige Robinsonade ist wieder da. In meiner Phantasie sehe ich Greifklauen, die sich nach mir ausstrecken, und über mir gähnen furchtbare Rachen.
Ich glaube kaum, daß ich heute nacht gut schlafen werde.
22. August, 6.00 Uhr. Die rosenfingrige Morgenröte kommt nach Dino Island, und ich bin noch am Leben. Es war keine besonders gute Nacht, aber ich muß doch ein wenig
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