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Kopernikus 5

Kopernikus 5

Titel: Kopernikus 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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er schon ein Erholungswochenende verbracht. Drei Zeilen mit nichtssagendem Geplauder; sie endeten: „Wenn Du Deine Zensuren hast, schick sie mir.“
    Anfang Oktober schickte die Sowjetunion den ersten von Menschen gebauten Satelliten hoch, den Sputnik, und schreckte damit die gesamte westliche Welt aus ihren Illusionen von technologischer Überlegenheit. Aber noch immer schrieb mein Vater mir nicht. Im November ließen die Russen ihrem Sputnik I eine Hundenummer folgen, indem sie die zum Untergang verurteilte Hündin Laika hochschossen, und Tierfreunde und Vivisektionsgegner hängten sich allenthalben wie die Karpfen an diesen Köder. Die Vereinigten Staaten reagierten auf diese Herausforderung mit einem ungeheuren Tamtam um den winzigen Vanguard-Satelliten, den wir am 6. Dezember starten wollten und der sich dann am ausersehenen Tage unserer Abrechnung in aller Öffentlichkeit als Fehlschlag erwies. Wir wurden zum Gespött der ganzen Welt. Aber mein Vater schrieb immer noch nicht, und für mich war das eine viel tiefere Enttäuschung als unser überall sichtbarer und offenbar furchtbar komischer „Kaputtnik“.
    Die Begabung, Freundschaften zu schließen, hatte ich nicht, und als der Dezember halb vorüber war, war ich verbittert und verschlossen geworden.
     
    In den Weihnachtsferien erwischte mich Doozie eines Tages dabei, wie ich trübsalblasend in ihrer riesigen Küche herumsaß, und sie schleifte mich zum Telefon an der Wand. „Wir rufen ihn an“, sagte sie. „Wir führen jetzt ein Ferngespräch von Huerfano nach Wie-heißt-es-gleich in der Türkei. Komm.“
    Überhaupt eine Übersee-Verbindung zu bekommen, dauerte mehr als dreißig Minuten, und die erste europäische Stimme, die sich schrill ihren Weg durch die Leitung bahnte, sprach eine Sprache, die ich nicht identifizieren konnte; Französisch oder Deutsch war es nicht, soviel wußte ich. Aber die Übermittlung war fast bis zur Unverständlichkeit verstümmelt und dünn.
    Irgendwie gelang es Theodosia nach weiteren zehn Minuten, mit jemandem zu reden, der behauptete, Unteroffizier der Air Force zu sein und noch nie von einem Mr. oder Captain Wesley R. Weir gehört hatte. Doozie und ich zerrten den schwarzen Hörer zwischen unseren beiden Köpfen hin und her.
    „Mit wem spreche ich?“ brüllte meine Großtante.
    Eine summende, zischende Suppe, in der eine Armada von bedeutungslos klickenden Geräuschen schwamm, ergoß sich zur Antwort aus dem Hörer. Schließlich sagte der Funker: „Hier spricht Sergeant Federico Seleno vom 1. Lunaren Nachrichtentrupp.“ Selbst die Brühe von Lärm, die über diesen Worten lag, konnte die Tatsache nicht verschleiern, daß unser Unteroffizier entweder betrunken oder verrückt war.
    „Geben Sie mir jemand anders!“ schrie Theodosia.
    Rauschen. Brüllende Leere. Dann: „Ist sonst niemand da. Keine Menschenseele außer mir hier oben. Scott hat’s nicht geschafft, und der arme alte Seleno sitzt verlassen auf dem Mond, liebe Dame.“
    „Verschwinden Sie aus dem Funkraum“, riet Theodosia Sgt. Seleno. „Gehen Sie weg und legen Sie sich ins Bett.“
    „Bringen Sie mich nach Hause“, rief der Mann durch das hohe, dünne Rauschen mehrerer dazwischenliegender Zeitzonen. „Liebe gute Dame, bringen Sie mich nach Hause …“
    „Dies ist nicht der Teilnehmer, den Sie verlangt haben?“ unterbrach eine nasale Frauenstimme, viel näher als der 1. Lunare Nachrichtentrupp.
    „Nein“, antwortete Doozie, „nein, das ist er nicht.“
    „Dann sollten wir dieses Gespräch vielleicht unterbrechen. Versuchen Sie es bitte später noch einmal.“ Der Hörer klickte und bedachte Theodosia und mich mit einem langgezogenen, vorwurfsvollen toten Summen, regelrecht beleidigend. Ich mußte daran denken, daß ich Telefone noch nie gemocht hatte; sie saßen auf Tischen wie ebenhölzerne Buddhas mit einer Uhr im Bauch, oder sie hingen an Küchen wänden wie Feuermelder aus Plastik; bestenfalls waren sie nutzlos und schlimmstenfalls Unglücksboten.
    „Beinahe“, sagte ich ohne Sarkasmus zu meiner Großtante und wanderte in ihr Schlafzimmer, um dort durch die großen französischen Fenster in das herankriechende Dezember-Zwielicht hinauszustarren.
     
    Ganz plötzlich war es 1958. Im Januar las ich überrascht in einer Ausgabe von Time , die auf einem Tisch in der Schulbibliothek lag, daß das Wetter im vergangenen Jahr wärmer als gewöhnlich gewesen war. „Die Wellen im planetarischen Wind“, erzählte Time mir, „waren schwach und

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