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Kopernikus 5

Kopernikus 5

Titel: Kopernikus 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans J. Alpers
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schwach und lethargisch … In Neu-England lagen die Temperaturen 15 bis 18 Grad über der Norm, und Gegenden, die für ihre Kälte berüchtigt sind, wie Montana, hatten ein geradezu mildes Klima.“ Demnach mußte ich glauben, daß die schweren Schneefälle, die wir zu Weihnachten in Huerfano gehabt hatten, ein ganz und gar lokal begrenztes Phänomen, wenn nicht gar eine unheimliche optische Täuschung gewesen waren. Mildes Klima im Herbst und Winter? Herbst und Winter von 1957 waren die kältesten gewesen, die ich jemals erlebt hatte, und jetzt hielt ich einen Artikel in der Hand, der behauptete, daß die planetaren Winde wieder aktiv geworden wären und daß der Nation besonders niedrige Temperaturen ins Haus ständen.
    Auf dem absoluten Nullpunkt stand mein Inneres, auf dem absoluten Nullpunkt auch mein für alles unzugänglicher Geist, während ich die ersten drei Wochen des neuen Jahres wie ein Schlafwandler durchlebte …
    Am Donnerstag, dem 23. Januar, lagen in Theodosias Briefkasten ein Reklamezettel des Gemüsehändlers, eine Probetube Zahnpasta und ein brauner Briefumschlag von meinem Vater, aufgegeben am 16. in München und über und über beklebt mit nachdrücklich abgestempelten ausländischen Briefmarken. Er war ausschließlich an mich adressiert. Ich trug das Päckchen nach oben in mein ungeheiztes Zimmer und riß es auf; ich zitterte, aber nicht nur vor Kälte. Dann zog ich Seite um Seite eines Briefes aus dem Umschlag, mit peinlicher Sorgfalt geschrieben und säuberlich mit einem Füllfederhalter korrigiert. Bis heute ist es der längste Brief, den ich jemals bekommen habe; und trotz der Anweisungen zur Vernichtung, die er enthält, habe ich den Brief meines Vaters aufbewahrt, habe ihn versteckt und bewacht, beinahe zwanzig Jahre lang.
    Wie Sie gleich sehen werden, war das liebste Interpunktionszeichen meines Vaters der Gedankenstrich, und er bestand darauf, alle Dialoge in seinem Brief durchgängig in Großbuchstaben abzufassen – vielleicht weil der Luft-Boden-Funkverkehr in Geheimdokumenten jener Zeit oft auf diese Weise transskribiert wurde; ich weiß es nicht. Ich erwähne aber die Gedankenstriche und die Großbuchstaben, weil mein Vater gemeinhin keineswegs übermäßig sorgfältig war, und hier, ganz offenbar als eine Art Bußübung, zwang er sich, sich strikt an eine sorgfältig ausgearbeitete, starre Briefform zu halten. Es war charakteristisch für ihn, daß er diese Form selber entworfen hatte.
     
    Liebster Sohn,
    verspätete Grüße aus Türkiye . Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, ich weiß nicht, wie ich Dich ansprechen muß. An der Straße von Incirlik und der Einheit 10-10 – ungefähr 43 Kilometer von hier, um es möglichst genau zu sagen – liegt Tarsus, der Geburtsort des Heiligen Paulus. Jetzt, da ich diesen Brief beginne, ist es nicht mehr lange bis Weihnachten, und es war der Heilige Paulus – heißt es –, der das Christentum als erster als eine universale Religion sah. Aber ich war mit meinen Gefühlen noch nie ein Künstler, und mit Worten immer ein ziemlich schlechter – ich kann nicht tun, was Rembrandt tat, und mich so malen, daß ich aussehe wie der Heilige Paulus, oder? Ich bin nicht einmal ein besonders guter Vater gewesen, und noch viel weniger ein Heiliger in irgendeiner Hinsicht, und das tut mir leid, Mal.
    Ich glaube, ich habe Dir nie erzählt, daß ich religiös bin, aber ich bin es. Alles, was ich in meinem Wohnwagen hier auf dem Stützpunkt habe – ich schreibe dies auf einem Kartentisch –, ist ein Buch mit dem Titel Die Bibel, als lebendige Literatur zu lesen. Ich habe es mir aus der Bücherei des Stützpunkts geliehen, wie die Dinge liegen, aber ich weiß, für meine Mutter hätte dieses Buch niemals als eine ECHTE Bibel gegolten. Jedenfalls bin ich für Dich so weit von einem Vater oder einem Heiligen entfernt gewesen, daß ich gern eine oder zwei Zeilen aus dieser Pseudo-Bibel neben mir abschreiben möchte. Okay?
    Eben dieser Geist bezeugt es unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi, sofern wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden. Denn es ist meine Überzeugung, daß die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.
    Und auch dies, Mal …
    Denn auf Hoffnung hin werden wir gerettet; Hoffnung aber, die schon geschaut wird, ist nicht Hoffnung; denn was einer schaut, was soll er da noch hoffen?

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