Kopernikus 6
Marchianna aß stets al fresco, indem sie sich leicht an den stahlgrauen Mantel des Prospektorschiffs klammerte und Sonnenstrahlen einsog –, sondern für ihn, Nakamura-san, ihren Herrn, ihren Eigentümer … ihren Gott.
Als die Schranktüren auf ihre Funkbefehle hin aufschwangen, brachen sich die Bilder. Getrockneter Fisch und Seetang und Bohnenquark und Reis. Sie rief einen Tisch aus dem Fußboden ab und stellte alles darauf. Ihre Uhr zeigte 7:51:38; in genau acht Minuten und zweiundzwanzig Sekunden würde Nakamura-san erwarten, daß er sich vor sein dampfendes Mahl setzen konnte. Und er war pünktlich. Sehr pünktlich. Es gab Augenblicke, da fragte sie sich, wer von ihnen eigentlich die Maschine und wer der Mensch war. Tee, ach ja, grüner Tee. Blätter, die in eine zerbrechliche blaue Kanne geschüttet wurden, die ständig von ihren narbigen Titangreifern gefährdet zu sein schien.
Eine weitere Verkleidung sprang auf, und eine Million Marchiannas verschwanden. In der Nische wartete das Becken, kahl und funktional. Sie nahm es nicht gern wahr. Wie sie selbst, war es eine Einrichtung, die dem Menschen Annehmlichkeiten geben sollte, doch es war so schlicht, daß es ihre ganze Rasse in menschlichen Augen als minderwertig erscheinen ließ. Sie stellte die Kanne in seine krebsartigen Scheren. „Füll sie mit kochendem Wasser.“
„Jawohl, Marchianna“, zischte es.
Sie eilte in die Frühstücksnische hinter der Küche und wischte den Staub von der Tischfläche, der über Nacht von der Felsdecke hinabgerieselt war. Im Wandholo krümmte sich eine Kiefer, mächtiger Stamm, spärliche Nadeln. Darunter sammelte sich ein kleiner Bach in einem Teich, in dem ein langbeiniger Kranich nach Elritzen pickte. Dieser Vetter erfüllte sie mit größerem Stolz. Nakamura-san blickte es oft minutenlang an und seufzte, wenn er den Blick abwenden mußte.
7:58:12. Sie huschte zurück in die Küche, staubte das Lacktablett ab. Es war schwarz, mit einem Ideogramm aus Perlmutt eingelegt; eines Tages hatte sie ihren Eigentümer gefragt, was es bedeutete, und er hatte es nicht gewußt. Dann stellte sie die Teller und Schüsseln in einem, wie sie hoffte, gefälligen Arrangement zusammen. Nakamura-san achtete penibel auf solche Dinge. Einmal, ganz am Anfang, hatte er ein ganzes Essen fortgeworfen, samt Schüsseln und allem, nur weil er keine Nahrung zu sich nehmen wollte, die auf solch unansehnliche Weise dargeboten wurde. Als letzte Geste stellte sie eine Chrysantheme und einen Spitzfarn in eine emaillierte Knospenvase, dann trat sie einen Schritt zurück und begutachtete die Wirkung.
Im Eßzimmer flüsterten die Scharniere, daß ihr Herr eingetreten sei. Sie nahm die Zeit ab – 7:59:55 –, hob das Tablett auf und eilte hinein, um ihn zu begrüßen. „Ohayo gozaimasu.“ Sie konnte sich nicht verneigen, dafür war sie nicht gebaut, also veränderte sie den Druck ihrer autarken Gehäuseaufhängung, wodurch die hintere Kante einige Zentimeter angehoben wurde und das Vordergesicht sich leicht senkte. „Wenn Ihr bereit seid, schenke ich den Tee ein, Nakamura-san.“
„Hai“, grunzte er. Mit schwirrenden Rädern rollte er an den Tisch. Seine optischen Sensoren, tränenförmig und zu Paaren auf jeder Facette seines dreieckigen Turmaufbaus aufgereiht, blickten auf die Knospenvase. Fast bevor sie noch begriffen hatte, was er tat, streifte er zwei verwelkte Blätter von der Chrysantheme ab, zupfte vier Wedel von dem Farn und stellte beide so zusammen, daß sie ein harmonisches Ungleichgewicht bildeten. „So“, sagte er.
Aus ihren Mikroprozessoren floß Demütigung. Sie hatte doch gewußt, daß sie sich nicht an
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