Kopernikus 6
menschlichen Kunstformen hätte versuchen sollen, aber ihre Sehnsucht danach, von ihm mit Wohlwollen betrachtet zu werden, hatte ihre einprogrammierte Vernunft überwältigt. „Ich bitte um Verzeihung, Nakamura-san. In Zukunft werde ich mir so etwas nicht mehr anmaßen.“
Seine Nebellampen flackerten vor Erstaunen. „Hast du geglaubt, daß ich dich zurechtweise?“ fragte er und bedeutete ihr, den Tee einzuschenken.
Mit Ja zu antworten hätte bedeutet, die Eigentümer-Respekt-Schaltungen zu verletzen. „Ich dachte, Herr, daß Ihr mich an mein Maschinensein erinnern wolltet.“
„Nein, ganz und gar nicht.“ Er nippte durch einen kupfernen Saugheber an dem dampfenden Tee; seine Mikrowellenplatte bewegte sich erst nach rechts, dann nach links und deutete seine Zustimmung an. „Wie mein ehrwürdiger Großvater oft sagte, kann jeder ein Künstler werden, solange er einen Blick besitzt, Geist, eine ruhige Hand und ein Leben, um es dafür hinzugeben. Für einen Anfänger warst du schon gut.“ Mit seinen Manipulatoren beförderte er stäbchenweise Reisbälle in seine Nahrungsaufnahmeklappe. Einen Augenblick später blickte er auf. „Du kannst gehen.“
Als sie sich fortbewegte, fühlte sie sich leichter als Luft. Lob von Nakamura-san! Unverhofft und – ach, so beglückend*. Besonders, wenn man bedachte, wie mißmutig er während ihrer letzten Rückkehr gewesen war! Sie hatte gedacht, daß er zusammenbrechen, den Verstand verlieren würde, aber das war nicht geschehen. Sie hatte sich geirrt, und ihre Glückseligkeit pulsierte so laut, daß die Leuchtleisten über ihr zu summen begannen.
Doch als sie in der Küche war, wies sie sich selbst zurecht. Sie war eine Maschine, ein Gerät, ein Ding – Metall und Plastik, das vom Menschen zu seinem Wohlgefallen zusammengefügt worden war. Sie hatte kein Recht zu lieben. Ihre Rolle bestand darin zu dienen, in zuverlässigem Gehorsam, mit mechanischer Exaktheit – nicht mit Zuneigung. Nakamura-san konnte sie jeden Augenblick verkaufen oder sie in einen Eisschrank umbauen, wenn er dies wünschte, denn ein Mensch schuldete seinem Eigentum nichts, überhaupt nichts.
Und doch liebte sie, tief und wahr, und konnte nichts dagegen tun.
Sie wollte auch nichts dagegen tun. Sie genoß es, wie ihr Wechselstromgenerator stets eine zusätzliche Periode pro Sekunde zulegte, sobald sich Nakamura-san näherte. Sie schwelgte im Absinken der Widerstände ihrer Gehorsamsschaltungen, wenn er sich räusperte. Und es entzückte sie maßlos, wenn ihr Funktionsselektor ihr, wann immer sie etwas beendet hatte, eine Aufgabe stellte, deren Erfüllung seine Mikrowellenplatte in zustimmende Bewegung versetzen würde. Sie liebte ihn, und sie war froh.
Sie war auch neugierig, denn sie wußte, daß Liebe ihr fremd sein sollte. Die Fabrik hatte ihr nicht diese Fähigkeit eingebaut. Drei Herren hatte sie gedient, Hunderten von Menschen war sie begegnet, ohne daß jemals auch nur ein leichtes Flackern von ‚Liebe’ aufgekommen wäre. Dann war sie eines Morgens aus dem Schlaf aufgewacht (sie nannte es Schlaf, obwohl es eher eine Periode der Energieeinsparung, der Informationsergänzung und der Schaltungsüberprüfung war), hatte seine Stimme gehört, sein Gesicht gesehen, und die Flamme war hoch in ihr aufgelodert.
„Marchianna“, rief er ungeduldig und löste damit einen Feedback-Effekt aus, der sie wie das Nachbeben eines Orgasmus durchzuckte, „es ist Zeit.“
„Hai!“ Mit schnurrenden Schaltungen verließ sie die Küche und folgte ihm, im respektvollen Abstand von drei Metern, durch die plastikvertäfelten Korridore, die sich auf die Oberfläche
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