Kopernikus 6
dem anderen zeichnete, wünschten sie doch, daß er noch schneller wäre. Jede Skizze wurde mit einem Chor von Ausrufen quittiert.
Ihre Bewunderung beflügelte ihn und führte ihn in einen Zustand der Entzückung, wie er sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Er fertigte Skizze um Skizze an, von Electra, von Ivrian, Hero, von Clell, Aries, Capricorn, Vesta … von allen. Die herausgerissenen Blätter flatterten um ihn herum auf den Sand herab, von ihren fröhlichen Gesichtern angefüllt. Erst als sein Zeichenblock leer war, ließen sie von ihm ab.
Er sackte auf dem Hocker zusammen, sein Geist war aufgewühlt, doch sein Körper war erschöpft. „Schlafen Leute auch im Achron?“ fragte er müde.
„Natürlich.“ Electra nahm ihn bei der Hand. „Hier entlang.“ Sie führte ihn zu einem schwarzgoldenen Zelt.
Er blickte zurück. „Meine Skizzen.“
„Ich kümmere mich darum.“ Hero war dabei, sie aufzusammeln, und legte eine auf die andere und formte sie zu einem säuberlichen Stapel.
Electra zog ihn ins Zelt und ließ die Vorderplane hinunter.
Neil entdeckte bald, daß er doch nicht so müde war. Electra hatte eine ganze Enzyklopädie sexueller Kniffe parat und setz te ihren Stolz daran, sie ihm alle vorzuführen. Seine schließlich geäußerten Einwände, daß er nun wirklich ausgelaugt sei, spornten sie nur zu noch größeren Anstrengungen an.
„Bitte. Genug!“ bettelte er. „Geh und spiel mit einem deiner Gefährten. Sie sind jünger und kräftiger als ich.“
Sie blickte ihn mißbilligend an. „Aber ich habe es doch schon mit allen gemacht. Es ist nichts Neues dabei, sie anzumachen. Du bist neu. Komm, versuchen wir das mal, vielleicht schaffen wir es noch mal.“
Schließlich konnten selbst ihre Leidenschaft und ihre Ausdauer ihn nicht mehr reizen. Während er einschlief, fiel ihm ein, daß man, wenn man in einem Achron nicht alterte, einen Schatz an Erfahrungen ansammeln konnte – subjektives Altern –, ohne daß äußere körperliche Anzeichen dies auswiesen. Wie alt mochten diese jungen Leute wirklich sein?
Als er aufwachte, hatte Neil diese Frage wieder vergessen. Als er die Augen öffnete und Electra, in seine Arme geschmiegt, erblickte, bewunderte er ihre kindliche Schönheit. Er erinnerte sich auch an die Schmeicheleien der Ausflügler, während er gezeichnet hatte. Die Erinnerung durchströmte ihn mit Freude und besänftigte die Steifheit, die ihm seine Akrobatik mit Electra beschert hatte. Seine Ölfarben befanden sich im Scout. Wenn ihnen das Zeichnen schon so gut gefallen hatte, wie mochten sie dann wohl reagieren, wenn sie ihn malen sahen?
Er glitt von der Schlafmatte, ohne Electra zu wecken, und zog seine Jeans und sein Hemd an.
Zuerst war es ein Schock, draußen keine Dämmerung zu erblicken, sondern das selbe, leuchtende Zwielicht, in dem er schon das Zelt betreten hatte. Er hatte immer Morgendämmerungen gemocht. Er vermißte die Morgendämmerung, die hier hätte sein sollen.
Eine Reihe von Ausflüglern war schon auf, und es sah so aus, als sei dies schon länger der Fall. Ein Paar murmelte etwas darüber, ins Bett gehen zu wollen. Das erstaunte ihn, bis er darüber nachdachte. Ohne einen normalen Nacht- und Tagesrhythmus würde jeder nach seinem individuellen Zyklus leben.
Clell und Capricorn waren wach und beschäftigten sich damit, ein kompliziertes Spiel zu spielen, bei dem es darum ging, Muscheln in ausgeklügelten Figuren über den Sand zu schieben. Sie waren so sehr davon gefangengenommen, daß sie ihm lediglich zunickten, als er an ihnen vorbeischritt. Clell machte offenbar einen guten Zug und lachte leise. Capricorn fluchte lange und mit einer Boshaftigkeit, die Neil
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