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Kopernikus 6

Kopernikus 6

Titel: Kopernikus 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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hoch, ich fliege!“ Sein Gesicht glühte noch immer von der Röte des Gefühlsfelds. Er knuffte mich und lächelte. Er wußte, daß ich wütend war. Wir hatten euch gefährlich hochgekitzelt. Wie Shadrach hatten wir euch in den lodernden Hochofen geschickt, in das Blütenmeer der Fuseltreibstoff flammen. Wir hatten euch die Hitze spüren und atmen lassen, hatten euch zu einer Schar verkohlter Leichen gemacht und euch am Schluß wieder auferstehen lassen.
    Ich wußte von Anfang an, daß bei Max ein Stück fehlte. Er besaß überhaupt keinen Sinn für Moral. Er wertete nicht zwischen Gut und Böse. Schon bald machte ich den mißglückten Versuch, mit Morrie Bloom, dem Nachrichtenchef der CBA, darüber zu sprechen.
    „Und wen interessiert in diesem Geschäft Gut und Böse?“ fragte Morrie, eine Zigarre mit Antikarzinomfilter im Mund. „Wenn er verbiegt, wenn er verändert, wenn er die Tatsachen verdreht, wer soll das denn merken? Ich mag den Jungen. In einer Woche sind wir schon drei Komma zwei höher als ProServe gekommen. Drei Komma zwei ist mir Gut und Böse genug.“ Er zielte mit der Zigarre auf mich und verlor dabei Asche. „Du hast ihn hierhergebracht, Sid Ware. Hast du Zweifel? Dann behalte selbst die Kontrolle. Nimm die Zügel fester, aber nicht zu fest. Nicht einen Punkt runter wegen Gut und Böse, oder du steigst sofort in einen Schnellgleitbus und fährst zurück nach Iowa.“
    Wenn ich mich an Max erinnere, dann versuche ich immer nur, an die ersten wilden Tage bei CBA zu denken. Es ist alles eingefangen worden und leicht nachzuvollziehen: in der Publicity, die über die Nachrichtenbänder lief und bunt und retouchiert auf den Titelseiten von einem halben Dutzend Röhrenfanmagazinen erschien: V IDEO - MÄCK D ES E INUNDZWANZIGSTEN J AHRHUNDERTS – G ENIE D ER R ÖHRE .
    Auf dem Bild steht Max in der American Bar, lächelnd, die Zähne weißer, die Augen blauer, das Haar blonder, klotziger, fetziger, größer als in Wirklichkeit. Er umarmt gerade die neueste T&A-Mieze des Netzes, Wange an Wange wie in einer Zahnpastareklame. Mit der rechten Hand greift er nach mir. Ich bin nicht im Bild. Max sagt gerade: „Gib mir einen aus, Sid.“ Sein Lächeln hat noch nichts von dem nervösen Zucken, das einmal seine Lippe verziehen wird, an dem Tag, an dem er verbrennt.
    Wenn ihr so alt sein solltet wie ich, dann werdet ihr euch noch an die FCC mit ihrer Fairneß-Doktrin und ihren Vorschriften über ausgewogene Sendezeiten erinnern. Heutzutage schmeißt man einen Satelliten hoch als ob man einen Ball ins All werfen würde. Wirf einen Satelliten hoch, und du hast ein Netz. Wer kann das kontrollieren, wer kann dagegen anstinken? Dutzende von Netzen kommen und gehen, fusionieren und gehen ein, alles im gleichen Jahr – der Dreck, die Tricks, die Lügen! Die Betrügereien, die sie veranstalten, wegen eines Vorsprungs von einer halben Sekunde bei der Nachrichtenberichterstattung, wegen eines hundertstel Punkts auf dem Nielsen-Index.
    In der Nacht, als Max starb, fuhren wir an der Spitze, eine Nielsen-Quote von neunundneunzigneunzig. Bei der Anhörung wurde behauptet, daß alles ganz anders verlaufen wäre, wenn ich dabeigewesen wäre, den Spannungsanstieg des Gefühlsfelds beobachtet hätte. Deshalb werde ich in der Branche auch nicht mehr arbeiten, selbst wenn die Verbrennungen an meinen Händen verheilt sind.
    Ich sagte: „Senator, ich bin ein Macher, ich mache das Gefühl und die Treibkraft der Nachrichten, je nach Stimmung des Publikums. Ich schaffe den Nachrichtensprecher, den Sie sehen wollen, und ändere ihn, wenn Sie ihn geändert haben wollen. Die Nachrichten mache ich nicht.“
    „Aber Fairneß“, sagte der Senator, „Objektivität, Genauigkeit, Wahrheit? Warum lachen Sie?“
    „Wegen der Naivität, Senator. Ich lache über Ihre Unschuld.“
    „Aber wer macht denn die Politik? Wer macht die Gesetze?“
    Ich hielt meine Hände mit ihrem Heilhautverband hoch.
    „Senator, ich bin stolz darauf, sagen zu können, daß diese Hände, in dem Augenblick, als es am wichtigsten war, das Gesetz gemacht haben.“

 
3
     
    Zum ersten Mal bemerkte ich das Zucken im Oktober 2020. Ein leises, langsames Zucken zog an seinem Mundwinkel, so sanft und schleppend, daß ich es zunächst überhaupt nicht wahrnahm.
    Alicia, die die Nielsen-Charts verfolgte, blickte vom Schirm zur Kabine und fragte: „Sid, was ist das?“
    „Der kosmetische Fixierer“, antwortete ich verblüfft.
    Nach nur vier Monaten im Gefühlsfeld

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