Kopernikus 6
mehr Schrott für die Baustelle. Bensmiller wußte nicht genau, was dort gebaut wurde. Am Ende der provisorischen Straße befand sich die Baustelle, in der Nähe von Komplex A, der aus glitzernden Gewächshauskuppeln bestand. Jede dieser Kuppeln war ein warmer, gelber Sternhaufen, jeder Stern selbst eine künstliche Sonne über einem Anbauabschnitt. Das Projekt hatte irgend etwas mit Energieerzeugung für die Gewächshauskuppeln zu tun. Kreski, der Stationskommandant, verlangte ständig nach Expansion, nach Neubauten, mit dem noch weit entfernten Endziel einer vollkommenen Selbstversorgung der Station Grissom. Jede neue Kuppel, jeder neue Korridor, der sich durch den Staub von Sinus Iridum schlängelte, kam dem Abschneiden der Verbindungen zu dem blauen Planeten, der ständig am Südhimmel zu sehen war, näher.
Zwei käferähnliche Laster folgten dem Tieflader zur Baustelle. Bensmiller schüttelte den Kopf und kletterte wieder hinunter. Unten angekommen, klopfte er sich den Mörtel von den Knien. Noch mehr Maschinen. Auf Rädern, auf Gleitrollen, unter Kuppeln und unter dem Mondboden, überall wucherten sie. Und doch war das Stationspersonal in vier Monaten um ganze sieben neue Mitarbeiter erweitert worden. Der Priester fragte sich, warum sie die Menschen nicht einfach nach Hause schickten und die Maschinen sich über die Mondoberfläche ausbreiten ließen.
Pater Thomas Bensmiller nahm sein Schreibbrett auf und fuhr mit seinem Tätigkeitsbericht über den Bau der Mondkirche fort. Der Hauptaltar war fast beendet. Die große Platte aus Ahornholz, die erste ihrer Art, die jemals über die qualmigen Nebel der Erde gestiegen war, würde schon bald die Darstellung des Abendmahls zeigen. Sie war bereits an ihrer grob aus dem Mondgestein gehauenen Säule befestigt worden und würde noch diesen Monat geweiht werden. Rechts vom Altar stand die Kanzel aus holzähnlichem Kunststoff. Bensmiller erwähnte alles und gab auf den Mehrfachformularen seiner Zufriedenheit Ausdruck.
Nur weniges blieb noch zu tun: anstreichen, Elektroarbeiten, die Bänke für die Gläubigen und das große Doppelkreuz, mit dem Leib auf der einen Seite, reinem Gold auf der anderen.
Bensmiller wandte sich der Statue zu. Sie war auf der Erde aus italienischem Marmor gefertigt worden und stand mehr als zwei Meter über dem Boden auf ihrem Podest aus Mondfels. Ungedämpft schienen die Sterne auf sie herab. Er konnte sie nicht anblicken, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Wie viele Liter Treibstoff haben dich aus den Armen der Erde hierhergebracht, gute Frau? fragte Kreski ihn immer und immer wieder, aber Bensmiller hatte die Antwort darauf wohlweislich vergessen. Kreski liebte es, sich über den Reichtum der Kirche auszulassen, der dafür verschleudert wurde, eine Kirche auf dem Mond zu bauen, während im ‚versklavten Osten Millionen verhungerten’.
Doch die Armen werden stets bei euch sein. Das hatte er gesagt, der Christus. Und die Macht der Kirche konnte nicht immer bis hinter die Mauern der Unterdrückung gelangen. Gott würde für Seine Armen Sorge tragen, solange Seine Gesandten nicht zu ihnen vorgelassen wurden. Ja. Der Herr würde sich um sie kümmern. Kreski nickte dann, nickte und ging, immer noch nickend, fort.
In diesen Augenblicken kam sich Pater Bensmiller sehr klein und irgendwie heuchlerisch vor. Kreski war ein riesiger Mann, brilliant und kalt in seinem Wissen um Maschinen und Mondtechnik. Thomas Bensmiller, der dritte Sohn einer Hausfrau aus Indianapolis, dunkel und klein, mäuseschnell und mäusestill in allem, was er tat, war der Herausforderung des Stationskommandanten nicht gewachsen und schreckte vor seinen scharfen Attacken zurück. Was hatte ein Priester auf dem Mond zu suchen, wenn es auf der Erde Arbeit genug gab? Bensmiller blickte sich in der unvollendeten Kirche um und dachte an die Maschinen und die pulsierende Aktivität draußen. Der Mensch griff nach den Sternen. Gottes Verwalter, wie etwa Monsignore Garif, hatten beschlossen, daß das Evangelium folgen sollte. Thomas Bernberger war der erste gewesen. Garif hatte ihm versichert, daß er der erste von vielen sein sollte. Es gab viele Menschen wie Kreski auf dem Mond. Es würde schwierig werden.
Gib uns deine Kraft, Mutter. Die schlimmsten Hindernisse hier sind nicht die Felsen und die Luftleere.
Die Mutter Gottes lächelte auf Pater Bensmiller herab, als wollte sie sagen: Das ist dein Problem, mein Sohn. Ich kümmere mich um meinen Teil, kümmere du dich um deinen.
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