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Kopernikus 7

Kopernikus 7

Titel: Kopernikus 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Kör­per.
    Er schrie sein Elend aus sich raus, mit Pau­sen, in de­nen er die Stil­le fühl­te, die kei­ne Ant­wort mehr zu ihm durch­ließ. Und schrie rö­chelnd, ver­stum­mend, weil sei­ne Lun­gen, sei­ne Stimm­bän­der, sein Kör­per sich wei­ger­ten, sein Ge­schrei zu for­men und hin­aus­zu­las­sen in die ihn her­me­tisch um­ge­ben­de Un­ter­welt.
    Sie ha­ben dich nicht im Stich ge­las­sen. Sie sind viel­leicht hin­ter ei­ner Weg­bie­gung ver­lo­ren­ge­gan­gen, ge­ra­de in je­nem un­wäg­ba­ren Au­gen­blick, in dem ich es nicht mehr schaff­te, West­phals dun­kel­grü­ne Cord­ja­cke zu er­ha­schen.
    Ich bin al­lein. Der Ge­dan­ke war auf ein­mal da. Er riß die Au­gen auf und sah nichts. Er­lausch­te und hör­te nur sei­nen Kör­per von in­nen her mo­no­ton rau­schen. Er rieb sich die auf­ge­ris­se­nen Au­gen, bis sie schmerz­ten. Aber die Dun­kel­heit blieb un­durch­dring­lich. Wie­der rieb er mit den Knö­cheln der Hän­de an den Wän­den ent­lang, nur um den Schmerz zu spü­ren. Über mir die Au­la … oder der Sport­platz … oder die Stra­ße. Er wuß­te kei­ne Rich­tung mehr. Und un­ter mir? Im­mer feuch­te­re, grund­was­ser­ge­tränk­te Er­de, im­mer we­ni­ger Sand. Fes­ter und klum­pi­ger wird der Bo­den, un­durch­dring­li­cher und schwär­zer. Und ich? Aber ein Ich zu den­ken fiel ihm zu schwer. Er be­gnüg­te sich da­mit, die Ein­zel­hei­ten sei­ner Kör­per­wahr­neh­mun­gen zu re­gis­trie­ren. Zu­sam­men­hän­ge konn­te er nicht mehr her­stel­len.
    Er rich­te­te sich an der Wand auf, tas­te­te mit den Hän­den lang­sam nach oben. Er fand aber kei­ne Un­ter­bre­chung in der Mau­er. Mit aus­ge­streck­ten Hän­den tau­mel­te er wei­ter, ließ die lin­ke Hand an der Mau­er ent­lang­strei­fen. Manch­mal hielt er in­ne, um an dem lin­ken Hand­knö­chel zu lut­schen. Durch den Schmerz be­wahr­te er sich vor Per­sön­lich­keits­ver­lust, vor Iden­ti­täts­ver­lust, vor Rea­li­täts­ver­lust – vor der zu­neh­men­den Kris­tal­li­sie­rung sei­nes Kör­pers. Ein schwar­zer Schnee sank un­un­ter­bro­chen, laut­los her­nie­der, wäh­rend er fort und fort ging. Er war in ei­ner Vor­wärts­be­we­gung ge­fan­gen. Den Ge­dan­ken, den Weg zu­rück, zu dem Ein­stiegs­loch zu fin­den, hat­te er ver­wor­fen. Er glaub­te manch­mal, sich vor­stel­len zu dür­fen, wie er am an­de­ren En­de die­ses un­ter­ir­di­schen Tun­nels im Schul­hof der Nach­bar­schu­le, des Gym­na­si­ums, raus­käme, auf­tauch­te, wo sie ihn, den Son­der­schü­ler, an­star­ren wür­den. Sie wür­den ihn si­cher­lich wie­der ins Dun­kel hin­ab­sto­ßen. Ein Auf­stieg war ihm ver­sperrt. Lan­ge glaub­te er so un­ter der Er­de sich her­um­zu­tas­ten. Er kam an ei­ne Kreu­zung, er spür­te es an den Luft­ver­än­de­run­gen, und ging nach links wei­ter, weil er Angst hat­te, sei­ne Hän­de von der Wand zu lö­sen.
    Ein tum­ber Ge­dan­ke: Wenn ich im­mer nach links ge­he, kom­me ich ir­gend­wie zu­rück. Aber wo­hin zu­rück? Er hat­te ver­ab­säumt, im­mer nach oben zu schau­en, um, wenn mög­lich, auch den ge­rings­ten Licht­schim­mer so­fort er­ken­nen zu kön­nen. Aber die Dun­kel­heit war gna­den­los.
    Was war er denn? Wo war er denn? Wer war er denn?
    Ein halb­fer­ti­ges mensch­li­ches Ge­stell mit ei­nem un­be­kann­ten ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten als Va­ter, der vor lau­ter Öde auf sei­ner Mut­ter her­um­ge­ram­melt hat­te. Und dem ver­sof­fe­nen Sub­jekt von ei­nem Zu­häl­ter, der nun in dem Loch her­um­hing, das er als sein Zu­hau­se be­zeich­nen soll­te, was ihm nie ge­lun­gen war. Ich bin doch schon im­mer al­lein ge­we­sen. Und da­bei ge­hört mein Kör­per mir noch im­mer nicht. Wie un­ge­macht, die gro­ben, ver­letz­ten Hän­de. Und vor al­lem, was soll ich da­mit hier un­ten, wo nur noch Dun­kel­heit, Stil­le und Stein und Sand sind.
    Er war in ei­ner Ecke, wo zwei Wän­de zu­sam­men­lie­fen, zu­sam­men­ge­sun­ken. Schlaf über­fiel ihn. Ei­ne gnä­di­ge Macht, die von Traum­ge­stal­ten at­ta­ckiert wur­de. Er ver­sank. Der Schlaf ent­zog ihn der Wirk­lich­keit. Er tö­tet das Ge­wis­sen, das Den­ken, das Han­deln. Er spielt mit

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