Kopernikus 7
rübergeht.“
Chick konnte Detes Ausführungen nicht mehr folgen. Die Angst schottete ihn immer mehr von den anderen beiden ab. Und schon wieder redete Dete.
Leiser werdend. Kaum noch wahrnehmbar im Geflacker des Kerzenlichtes.
„Letztes Mal, als ich da unten war, haben wir den Gullydeckel hochgelüftet und hinausgesehen. Die von der Nachbarschule spielten gerade Korbball. Das sah vielleicht bescheuert aus. Die von hier unten aus zu sehen. Und die merkten natürlich nicht, daß wir sie beobachteten.“
Noch leiser und unverständlicher wurde die Stimme. Chick hatte Mühe, sich unter dem Wort „Nachbarschule“ etwas vorzustellen. Das einzig Sichere war für ihn seine Hand, die er an der Wand entlangstreifen ließ und wo er dem Schmerz nachsann, wenn die rauhe Oberfläche der Mauer ihm die Haut langsam abschmirgelte.
Sie kamen an eine unterirdische Kreuzung, wo sich die Dunkelheit im freien Raum zwischen den Mauern an sie herandrückte. Schrei nicht! Er lauschte auf das Geräusch, das seine Schritte im Sand verursachten. Das Schlurren schien von weither zu kommen. Die Luft roch muffig und naß. Er traute sich nicht, Westphals Cordjacke, die er vor sich wußte, zu packen und sich von Westphal ziehen zu lassen.
Chick hatte Angst. {1}
Chick hatte Angst vor dem Verlöschen des Lichtes. Die Zufälligkeit, mit der die sonderbaren Luftströmungen des Ganges die Kerzenflamme flackern ließen, erschreckte ihn. Das Licht könnte ja jeden Moment weg sein.
Er streckte den Arm aus, um sich an Westphal festzuhalten. Er griff aber ins Leere. Die Dunkelheit schlug zu.
Die Kerze war erloschen.
Weit vorne hörte er Dete herumschreien. Die Stimme verhallte dumpf. Wurde abgewürgt.
„Diese Scheiß winde hier unten …“
Er hastete vorwärts und stieß gegen eine Wand. Er hörte sich schreien, und die Wände warfen ihm sein eigenes Gebrüll entgegen:
„Dete, Westphal, wo seid ihr?“
Und er hörte, kaum noch unterscheidbare Laute, weit weg und verzerrt, verschluckt von dazwischenliegenden Tunnelwänden:
„… fin… Streichhölzer …“
Laute können sehr leise sein.
Er hörte das Geräusch seiner Schultern, die an der Wand entlangschabten, an der er herunterrutschte. Er schrie.
Tränen traten ihm in die Augen, in die sich, er hatte sie aus Angst weit aufgerissen, gierig die Dunkelheit hineinstürzte. Und hinter der Dunkelheit lauerte die Stille. Nur der Stein war mildtätig, die Wand, die sich hart, krümelig und sandig ertasten ließ. Er röchelte und spürte, wie seine Arme, er war immer mehr vornübergesunken, langsam den Boden berührten. Er sank in sich zusammen.
Die Dunkelheit hatte ihn umzingelt und eingeschlossen.
Die Stille ließ ihn nur noch das Rascheln seiner Kleidung hören, die sein schnelles Atmen leicht bewegte. Seine Schuhe schabten auf dem sandigen Boden. Seine Knie und Ellenbogen fühlten sich etwas feucht an.
Weit, ganz weit weg, ganz hinten, hörte er Stimmen. Er verstand sie nicht mehr.
Schrei nicht, schien eine mütterliche Stimme ihn trösten zu wollen. Don’t cry. Aber er schrie dennoch. Er stülpte seine Verzweiflung, sein Elend und seine Einsamkeit, seine Wut über seinen ihn verratenden Körper aus sich heraus, er schrie, und all seine Erfahrung, sein ganzes Leben, lag in diesem Schreien fixiert; er schrie und preßte Luft aus den Lungen an seinen Stimmbändern vorbei. Und je mehr er sich verausgabte durch sein Gebrüll, das die Wände des Labyrinthes, in dem er sich verloren hatte, zurückwarfen, desto mehr schienen fremde Mächte von ihm Besitz zu ergreifen und seine Schädeldecke zu durchdringen.
Die Dunkelheit. Die Stille.
Und Ihnen ausgeliefert sein junger, sexuell erregbarer, nach Befriedigung lechzender, zersehnter
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