Kopernikus 7
verkrümmt war, und stellte, weitertastend, fest, daß es sich um mehr als einen Körper handeln mußte. Er kroch weiter vor. Gestank, Leichengeruch, verbranntes Fleisch in der Nase, gefühllos. Seine Bewegungen sollten sein Entsetzen mildern, ihn vor der Leichenstarre bewahren. Weiter, immer weiter. Und spürte, wie die Leichen ihn von allen Seiten umgaben. Oben und unten. Alle Richtungen zu. Wie er sich gefangen fand in ihrer undurchdringlichen, im Dunkel befangenen, ausrinnenden Wärme. Er zappelte, glaubte sein Herz aussetzen zu spüren. Sein Bewußtsein erlosch. Er fiel in eine Ohnmacht.
Auftauchend aus der gnädigen Ohnmacht, spürte er Kälte, wurde gewahr, daß er verkeilt in einem Berg von Leichen steckte, und begann, wahnsinnig geworden, sich durch den Berg, der kein Ende zu nehmen schien, der ganze Tunnel schien mit Leichen verstopft, hindurchzuwühlen. Blut drang auf ihn ein, leblose Glieder, Einzelteile, drückten sich in seinen lebendigen Leib. Knochen, die freilagen, ritzten ihn. Er wühlte herum, bis ihn die Kräfte verließen, der Gestank ihn erstickte und er wieder in Bewußtlosigkeit versank.
Doch die Programme seines Gehirns hatten die ersten Sensationen (das erste Entsetzen) eingespeichert und verarbeitet. Ihm wurde eine weitere Ohnmacht verwehrt. Er bekämpfte die Panik, die Erstickungsangst, die Angst, erdrückt zu werden, die Angst, daß ihm sein Leben entzogen würde, und kroch langsamer, aber unaufhörlich in Bewegung bleibend weiter. Nach langer Zeit fühlte er, wie die Luft von oben, wo er ein Oben vermutete, wo seine Hand nur mit Anstrengung hinlangen konnte, kühler zu werden schien.
Er krabbelte weiter fort. Die Luft ließ sich besser atmen. Hoffentlich lebt keiner mehr und bewegt sich, dachte er. Dann war er auf einmal aus dem Leichenberg heraus und ertastete eine Abrißkante aus Stein, aus festem, verläßlichem Stein, und lag auf dem Bauch. Ich überlebe.
Er richtete sich auf. Er ging mit vorgestreckten Händen tappend vorwärts. Er stieß gegen eine Glasscheibe, tastete sich an ihr entlang und gelangte in eine Öffnung, die ihm die Maße einer Tür zu haben schien.
Er lauschte. Wieder hörte er das Tappen in dem Tunnel, in dem er sich seit Tagen, oder waren es schon Wochen, versteckt hielt und umfaßte seinen Speer. Er spürte, wie ein Mensch sich ihm näherte.
Der andere blieb stehen. Er hörte, wie der vor sich hingrunzte, wie der unartikulierte Laute ausstieß. Kein Wort, das er verstehen konnte.
„Tu mir nichts!“ sagte er laut und lauschte seinen Worten nach, die in der ihn umschließenden Schwärze verhallten. „Tu mir nichts!“
Der andere röchelte weiter vor sich hin, näherte sich aber nicht mehr.
Sie belauerten sich.
Chick hielt seinen stählernen Speer fest umklammert und drückte sich dicht an die Wand.
Die Zeit verging langsam. Chick hielt die Ungewißheit nicht mehr aus. Er stellte den Speer neben sich an die Wand und streckte beide Arme vor sich aus, mit gespreizten Fingern, in die Richtung, aus der die unartikulierten Laute gekommen waren und wo er den anderen im Dunkel vermutete.
Er hörte ein Tappen und bezwang die Panik. Er blieb stehen. Jemand näherte sich ihm. Vor ihm, er drückte sich fest an die Wand, erstarrte, verhielten die Schritte. Jemand berührte ihn vorsichtig an der Schulter.
Er hob langsam seine linke Hand und legte sie auf die Hand, die auf seiner Schulter lag.
Ihre Hände berührten sich.
„Wer bist du?“ fragte Chick.
Niemand antwortete. Er nahm vorsichtig auch den anderen Arm hoch und betastete den Körper, der vor ihm stand. Es war der Körper einer Frau oder eines Mädchens. Das erschreckte ihn. Seine Hände wanderten nun, er war ruhiger geworden, über den anderen
Weitere Kostenlose Bücher