Kopernikus 7
Eisen sein.
Die Sonne fällt zum Horizont hinab.
Bald wirft man mich ins milde Massengrab. “
(aus: Abschied, kurz vor der Abfahrt zum Kriegsschauplatz, für Peter Scher)
Alfred Lichtenstein
Arthur Jean Cox Eine Passage in Kursivbuchstaben
A PASSAGE IN ITALICS
Diese Geschichte handelt von der Vergangenheit.
Es war im Jahre 1952. Schauplatz war ein Friseursalon mitten in Manhattan, auf der ehemaligen Sechsten Avenue. Das Geschäft sah eigentlich ganz gewöhnlich aus. Vor der Tür befand sich wie üblich eine sich drehende gestreifte Stange und über dem großen Schaufenster eine ziemlich armselige, verblichene Sonnenplane zur Abhaltung der Morgensonne. Der Laden selbst – um hineinzukommen, mußte man die Glastür aufmachen, auf der in goldener Schrift mit großen Kursivbuchstaben Tonys Frisierladen aufgemalt war, und ging dann unter einer anschlagenden Glocke drei Betonstufen hinunter – erwies sich sodann als klein, aber sauber. Es gab dort drei Stühle (das heißt, mechanisch verstellbare Frisierstühle: an der Wand links standen noch mehrere hölzerne Sessel für die wartenden Kunden). Das Ganze war offensichtlich einmal ein Seiteneingang in dem Gebäude gewesen, in dem das Geschäft untergebracht war. Ein in einem der drei Sessel Sitzender sah direkt über die belebte Straße in eine Seitengasse hinein, die so eng war und sich so zwischen die hohen Gebäude preßte, daß es selbst mittags finster war. Beim Hinausblicken aus dem Fenster, denn das tat er häufig, hatte Tony mehr als einmal eine kleine, bleiche Gestalt erblickt, die quer über jene dunkle Schlucht huschte. Dennoch war diese Gasse nicht völlig menschenleer. In größeren Zeitabständen sah er, wie jemand aus der offenen Straße in das Gäßchen hineinging und von der Dunkelheit verschluckt wurde (wenngleich nicht für ewig, wie er annahm) – denn darin befanden sich die Hintereingänge mehrerer Geschäfte und Büros, eines Dampfbades, eines italienischen Restaurants und zumindest einer entsetzlicheren Geschäftsstelle. Er hatte sich jedoch darüber nie viel den Kopf zerbrochen. Warum auch? Jeder, der nur für zwanzig Sekunden zum Fenster hinausblickte, bemerkte so ziemlich dasselbe, was er in den letzten zwanzig Jahren gesehen hatte. Was beweist, wie wenig selbst die drastischsten politischen Ereignisse unser unbedeutendes Alltagsleben beeinflussen. Tony hatte einen Krieg und mehrere Regierungswechsel erlebt, und doch hatte sich der Anblick dort draußen lediglich in bezug auf die Mode der Kleider und der Autos verändert. Heutzutage war es noch immer so ziemlich dasselbe wie früher.
Zur fraglichen Mittagsstunde stand wegen der Hitze die Tür offen, und der Kleiderständer am Ende der Reihe hölzerner Sessel war aus dem gleichen Grunde schwer behängt. Alle drei Frisiersessel waren besetzt, doch war Tony nur mit dem Mann im mittleren Sessel beschäftigt, der in einer Zeitschrift las, während er sich das Haar schneiden ließ. Der Mann im ersten Sessel beim Fenster hatte sich das lange Tuch, das während der Rasur seinen Körper bedeckt hatte – Tony hatte den gegenwärtigen Kunden gegenüber bemerkt, er habe den Mann gerade fertig rasiert, als sie zur Tür hereinkamen – übers Gesicht gezogen, wodurch seine braunen Schuhe, Socken und die ebenfalls braune Hose sichtbar wurden, und schlief vermutlich. „Vermutlich“, denn soweit man durch bloßes Hinsehen feststellen konnte, mochte er genausogut tot sein. Der unter dem Tuch herausragende Arm mit der schlaffen, sich nicht wehrenden Hand und den herunterhängenden Fingern hätte jeden Beobachter unfehlbar auf den Gedanken gebracht, Tony habe dem Manne
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