Kopernikus 7
paar Schritte in den hinteren Teil des Geschäftes und entledigte sich unbeholfen des Rasiermessers – er hatte Willy sowieso fertig rasiert –, das er auf das dort befindliche Schränkchen fallen ließ. Er bemerkte, daß der Mann, der neben dem Schrank die Zeitung las, von ihren derben Scherzen überhaupt keine Notiz genommen hatte; offensichtlich hatte er auf den Seiten der Times interessantere Dinge entdeckt. (Beim Abwenden fiel Tony eine Filmanzeige auf: Ab heute / in der RADIO CITY MUSIC HALL Rosselinis größter Film / AUGUSTUS CAESAR.)
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte Tony, der zurückkam, um das Tuch und den Streifen Kreppapier von Willys Hals zu entfernen. „Hier gibt es nichts als Redefreiheit. Eine Sekunde, bitte, während ich das abreiße, dann fange ich mit deinem Freund an.“
Er ergriff das Tuch mit beiden Händen und schüttelte es so heftig, um die Haare herauszubeuteln, daß es in der Luft einen Knall gab wie von einem heftigen Schlag oder – und das war unmittelbar danach Tonys bruchstückhafter Eindruck – wie ein Zauberer, der befehlend mit den Ringen schnippte. Denn unmittelbar darauf gab es ein höchst unerwartetes und überraschendes Phänomen, als auf dem linken Stuhl ein anderes Tuch mit Gewalt, ja ausgesprochen theatralisch, in die Luft geschleudert wurde. Der Mann, der darin gehüllt gewesen war, stand plötzlich mit strengem, um nicht zu sagen wildem Blick vor ihnen. Es war, als sei ein Leichnam all den Unsinn über den Tod gründlich satt geworden und habe das Leichentuch beiseite geworfen, das jetzt – während sie ihn anstarrten – zu Boden fiel. Er war ein Fünfziger mit einem langen, pferdeähnlichen Gesicht und grauen Schläfen. Sein Hemd war von derselben Farbe wie Hose, Socken und Schuhe – als wäre er ein Automechaniker oder ein Hausinspektor–, und sie bemerkten sogleich, daß sein Sakko ebenfalls von dieser Farbe war; denn ohne die Augen von ihnen abzuwenden, trat er auf den Kleiderständer zu, pflückte das dort hängende braune Sakko herab und zog es an. Er vervollständigte die Wirkung dieser Handlung, indem er aus der linken Tasche eine braune Krawatte hervorholte, die er sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit um den Hals schlang und knüpfte, als sei er ein geschickter Würger, und indem er aus der anderen Tasche zwei kleine Anstecknadeln hervorholte, die er ebenso geschickt auf dem Revers anbrachte. Eine zeigte ein Rutenbündel, das fest um eine Axt gebunden war: das Symbol der Fascisti. Die andere war ein mehr oder weniger schuhförmiges Silberstück, das Wahrzeichen der Pax romana und, genauer gesagt, der Polizia militare der Besatzungstruppen.
Tony, Willy und der Mann mit den Augenbrauen schauten alle den Neuankömmling an (um ihn mal als einen solchen zu bezeichnen), und er schaute zu ihnen mit Augen zurück, die so hart und trocken waren wie im Töpferofen gebrannte Tonwaren. Der andere Mann im Raum las noch immer die New York Times.
„Ich habe hier Reden vernommen“, sagte der Neuankömmling, „die für Italien und seinen großen Führer beleidigend sind.“
„Diese Burschen haben bloß gescherzt“, erwiderte Tony mit einem Ausdruck und in einem Ton, der halb Protest und halb Bitte war.
Willy zuckte die Achseln. „Es tut mir leid, daß ich Ihren Schlaf gestört habe.“
„Wissen Sie, wer ich bin?“ fragte der Polizist.
„Ich glaube schon“, sagte Willy, „aber bedenken Sie, daß ich nicht völlig sicher bin – ich glaube jedenfalls, Sie sind Oberst Giuseppe Pesca, der besser als ‚Schlächter von Coney Island’ bekannt ist.“ Er blickte seinen Freund im nächsten Sessel an, der mit einer Art anmaßendem Ernst, als wäre seine Bestätigung dieser
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