Kopernikus 7
alten Film im Nachtprogramm an, und es war ihm fast gelungen, das Ganze zu vergessen. Er erstarrte und fühlte eine Woge des Grauens (und er fühlte noch etwas anderes, das er nicht in Worte fassen konnte), und selbst diejenige Hälfte seines Wesens, die gehofft hatte, daß es käme, schrie jetzt vor Entsetzen angesichts des Unbekannten, da das Unmögliche tatsächlich geschehen war. Er kämpfte das Grauen nieder und atmete keuchend. So etwas konnte nicht geschehen. Vielleicht war er verrückt. Eine abgrundtiefe Angst flackerte auf. Auf seiner Stirn, unter den Achseln und zwischen den Beinen brach ihm der Schweiß aus.
Und wieder dieses Kratzen: Funkelnde Gefühle schoben sich tastend in seinen Kopf, sie fanden keinen Halt, glitten ab und kamen zurück; es war wie das Scharf stellen einer Spiegelreflexkamera. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. Die alten Sprungfedern ächzten, und durch den Stoff seines T-Shirts hindurch spürte er das rissige Leder heiß und klebrig an seinem Rücken. Er drückte die leere Bierdose zusammen, zerknüllte sie und schob sie automatisch in den Sechserpack neben seinem Sessel. Dann nahm er eine neue Büchse heraus und ließ sie in den Schoß sinken, ohne sie zu öffnen. Das gleitende Gefühl in seinem Kopf verursachte ihm Schwindel und eine leichte Übelkeit. Unruhig rutschte er hin und her und versuchte eine Position zu finden, bei der das Schwindelgefühl nachlassen würde. Das Polster gab ein nasses, saugendes Geräusch von sich, als er sich vorbeugte. Ächzend und stöhnend begann die Druckstelle, die sein Rücken im Leder hinterlassen hatte, sich wieder vorzuwölben, bis er sein Gewicht erneut dagegensinken ließ. Durch die Erschütterung dieser Bewegung geriet der Aschenbecher, den er auf dem Knie balanciert hatte, ins Rutschen und fiel mit der Oberseite nach unten in einer Explosion von Asche auf den Teppich.
Mason beugte sich nach vorn, um ihn aufzuheben. Dann hielt er inne; der Fernseher hatte plötzlich wieder seine Aufmerksamkeit erregt und gefangengenommen. Blinzelnd starrte er auf die körnigen, flackernden Schwarzweißbilder, und wieder spürte er etwas, das er nicht zu beschreiben wußte, so stark diesmal, daß er das gleitende Gefühl in seinem Kopf für den Augenblick vergaß.
Es war einer jener Filme, die man in den zwanziger und dreißiger Jahren gedreht hatte, als alles noch vollkommen in Ordnung war. Der Held war gutaussehend, gewandt und makellos gekleidet. Er hatte Mut, er hatte Stil, er paßte überallhin, er konnte jedes Problem lösen – er wankte nie und trat sich niemals selber auf den Schwanz. Er war die Qualität in Person. Die Heldin paßte zu ihm: Sie war kultiviert, vornehm und gelassen – eine schlanke, aristokratische Skulptur aus Eis und Mondlicht. Sie war unsagbar attraktiv. Beide waren Leute von Format, feine Leute: die Sorte, die das Sagen hatte, die etwas bedeutete. Sie waren in den richtigen Familien auf der richtigen Seite der Stadt geboren, sie waren auf die richtigen Schulen gegangen und hatten die richtigen Leute gekannt – sie hatten die richtigen Jobs gekriegt. Unangreifbare Überlegenheit lag in der Art, wie sie sich bewegten, wie sie gingen, wie sie die Füße setzten und die Köpfe drehten. Alles wirkte kühl, geplant und wohlausgeglichen, wie bei einem Tänzer. Sie wußten, daß sie die Besten waren. Sie wußten es, ohne darüber nachzudenken und ohne auch nur zu wissen, daß sie es wußten. Es war etwas, das man in die Wiege gelegt bekam. Es war etwas, das man nicht nachahmen oder vortäuschen konnte: Irgend etwas würde einen immer entlarven, und die anderen an der Spitze würden einen durchschauen, sie würden sehen, was man in
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