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Kopernikus 7

Kopernikus 7

Titel: Kopernikus 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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dringt, wo die tie­fen Strö­mun­gen da­hin­zie­hen. Er war nur halb bei Be­wußt­sein, in den Rand­ge­bie­ten des Trau­mes, wo al­les ra­tio­nal er­scheint und wo Wun­der zu Ge­mein­plät­zen wer­den. Es er­schi­en nur ver­nünf­tig, nur fair, daß er in sei­ner Ein­sam­keit ei­ne Frau in sei­nem Kopf fin­den soll­te. Er stell­te es nicht in Fra­ge, er fand es nicht ei­gen­ar­tig. Er nä­her­te sich ihr, ge­trie­ben und ge­führt nur durch den Drang, bei ihr zu sein, wie ei­ne wei­ße Fe­der, die tan­zend durch ei­ne rie­si­ge, fins­te­re Lee­re trieb, schwe­bend im Wind, ge­tra­gen von Strö­mun­gen, die sich durch un­ter­ir­di­sche Re­gio­nen win­den, von den Flu­ten, die durch die Nacht rol­len. Er fand sie, ein­gehüllt wie ei­ne Per­le im Bauch sei­nes Selbst: ein win­zi­ger, über­aus fei­ner Fremd­kör­per. Er war wie von Bern­stein um­schlos­sen, und so konn­te er nicht se­hen, aber den­noch wuß­te er, daß sie wun­der­voll war, so voll­kom­men und zart wie die Knos­pe ei­ner Blu­me, die sich in der Son­ne öff­net, oder wie die Hand ei­nes Säug­lings. Er trös­te­te sie, wie er Em­ma ge­trös­tet hat­te, wenn sie manch­mal nachts wei­nend auf­wach­te: Er griff durch die Dun­kel­heit nach der Trau­er, um­hüll­te sie warm, ver­dräng­te die Angst mit sei­ner Ge­gen­wart, ver­teil­te den Schmerz auf sie bei­de, um ihn zu ver­dün­nen. Sie schi­en zu er­schre­cken, als sie merk­te, daß sie nicht al­lein war im Her­zen des Nichts, aber dank­bar nahm sie ihn an, ver­band sich mit ihm, und sie ver­schmol­zen mit­ein­an­der, ei­ner durch­ström­te den an­de­ren, ein Zu­sam­men­fluß ge­hei­mer Was­ser an den dunklen Or­ten in der Mit­te der Welt, in der Nacht, wo die Schat­ten le­ben. Sie war die Sa­che selbst, nicht die Ver­pa­ckung, wie Em­ma. Sie war die äu­ßers­te An­mut – wie Sei­de be­weg­te sie sich um ihn her­um, wie war­mer Re­gen ström­te sie durch sein In­ne­res. Er ver­schmolz mit ihr für im­mer.
    Und er lag da und starr­te an die De­cke.
    Grau­es Licht drang durch das Fens­ter her­ein. Die Ho­tel­re­kla­me war ab­ge­schal­tet. Es war Mor­gen.
    Er grins­te die De­cke an; es war ein har­tes, freud­lo­ses Grin­sen: Die Ge­sichts­haut zog sich zu­rück und ent­blö­ßte die Zäh­ne, sie straff­te sich wie um einen To­ten­schä­del.
    Es war ein Traum ge­we­sen.
    Er grins­te den Mor­gen an wie ein To­ten­kopf.
    Hal­lo, Mor­gen. Hal­lo, du gott­ver­damm­ter Schwei­ne­hund.
    Er stand auf. Sei­ne Glie­der schmerz­ten. Er fühl­te sich schwe­re­los vor Er­schöp­fung, in sei­nem Kopf summ­te es, und sei­ne Li­der wa­ren wie Blei. Ihm war, als hät­te er über­haupt nicht ge­schla­fen.
    Er ging zur Ar­beit.
     
    Es reg­net noch im­mer. Di­cke Wol­ken ver­ber­gen mit ih­ren auf­ge­dun­se­nen Spin­nen­lei­bern das Mor­gen­grau­en. Hier im Fa­brik­vier­tel, wo sich Stahl­wer­ke, Ko­ke­rei­en und Gerb­fa­bri­ken mei­len­weit er­stre­cken, wo sich der Schaum von Che­mi­ka­li­en durch die Gos­se wälzt, reg­net es fast das gan­ze Jahr über: Dreck­par­ti­kel in der Luft bil­den den Nu­kleus für die Feuch­tig­keit, den Fremd­kör­per, an dem sie sich kon­den­siert, und es ent­steht ein ein­tö­ni­ger Re­gen, der end­los nie­selnd her­un­ter­kommt – ei­ne pis­sen­de Gott­heit. Der Bus kriecht durch Dunst und Sprüh­re­gen wie ei­ne Schne­cke, und ein feuch­ter Licht­kranz um­gibt sei­ne Schein­wer­fer. Re­gen­trop­fen schie­ben sich zen­ti­me­ter­wei­se über die Schei­ben, schim­mernd und platt­ge­drückt vom Wind, und sie zie­hen ei­ne lan­ge, nas­se Spur hin­ter sich her. An der In­nen­sei­te ist das Glas be­schla­gen von Atem­luft und Kör­per­wär­me, so daß man die Um­ge­bung nur un­deut­lich er­ken­nen kann. Die Welt drau­ßen ist zu klo­bi­gen grau­en For­men ver­schmol­zen, die sich end­los hin­zie­hen, zu Di­no­sau­rier­schat­ten, zwi­schen de­nen hier und dort Lich­ter fun­keln, dif­fus in der Näs­se – es ist ei­ne be­weg­li­che Kol­la­ge in Holz­koh­le und wäß­ri­gem Ne­on. Die Män­ner im Bus se­hen es nicht – sie wir­ken jetzt schon mü­de. Es ist sie­ben Uhr früh. Sie sit­zen da und star­ren dumpf auf ih­re Schu­he

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