Kopernikus 7
der Decke ein Spinnenbein und schaukelte ein wenig in der Ventilation. Karin, die träumend den Flur hinuntergegangen war, bemerkte das Spinnenbein erst, als es ihr seidig, klebrig, auch stinkend über die Züge fuhr. Zugleich trat ein stechender Geruch auf. Das Spinnenbein, in das sie schlug, fühlte sich weich an.
Als Karin auf dem Boden lag, drückte die Spinne ganz langsam ihren riesigen behaarten Leib durch die stählerne Tunnelwand herab. Steif und als hätte sie der Schüttelfrost gepackt, hatte sich Karin herumgewälzt. Aus der Richtung des Korridors, aus der sie gekommen war, fielen kleine Wollknäuel aus der Wand und krabbelten als Spinnen über den Boden fort.
Während sie noch auf dem Boden lag, wurde Karin feucht. Es war ein süßlicher Saft mit einem bitteren Beigeschmack, der von der Decke troff. Die große Spinne über ihr hing jetzt halb von der Decke herab, und jetzt zog sie ihre noch über dem Metall verbliebenen Beine nach. Karin hatte den Saft von ihrem Gesicht gewischt und prallte von der Wand zurück, die aufbrach und den Spalt für ein seidenes Gespinst freigab.
„Mutter Gottes“, murmelte das Kind, schon ganz wirr, „Mutter Gottes, was ist hier nur los? Was ist hier nur los? Wie kann es sein, daß unser schönes Schiff so mit Spinnen angefüllt ist?“
Aber ist es nicht so, daß es Zeiten gibt, in denen sich unser Verstand zusammenzieht? Ist es nicht so, daß man in bestimmten Situationen nicht mehr denkt? Daß man entweder – wenn der Verstand der Lage nicht mehr gewachsen ist – auseinanderfällt oder aber, wenn ein unendliches Vertrauen in uns ist, der Körper ganz am Ende allein die Richtung noch bestimmt?
Man muß zugeben, daß Spinnenaugen etwas Schönes sind. Für Karin war der schwarze Lichterkranz, der sich vor ihr befand, wie ein vielfältiges Kameraauge, das auf sie sah. Vielleicht lag in ihrem Wahnsinn etwas Eitelkeit. Ja, als sie sich vorwärts warf, durch den seidenen Vorhang, der jetzt von allen Seiten kam, richtete sie sich sogar ein wenig auf – sagen wir, wie eine kleine Königin, die ihren auftreibenden Körper dem Kameraauge entgegenwirft.
Schwer zu sagen, wie das kam – während der durchsichtige Schleier, der jetzt nicht übel roch, als dichte, schillernde Masse auf sie herunterkam, hatte Karin zwei, drei Spinnenleiber, die sich aufblähten, zur Seite gefetzt. Sie kroch über einen sich bewegenden, haarigen Körper wie über einen Berg. Sie spürte in der linken Schulter einen brennenden Biß. Dann fiel sie in den Antigravitationsschacht hinab, auf dessen Boden sie eine tiefe Ohnmacht überkam.
Sie wußte nicht, wie lange sie im Antigravschacht lag. Sie schlug die Augen auf, als etwas Kühles, Feuchtes auf sie troff. Sie schrie, da sie in einer fauligen Pfütze lag, dumpf auf. Sie schrie selbst dann noch, als die Erkenntnis hinter ihrer Stirn heraufzog, daß wirkliches, vielleicht brackiges, vielleicht abgestandenes Wasser sie umgab. Dann – sie hatte vergebens nach dem über ihr thronenden Spinnentier gespäht – weinte sie ein wenig.
Dann umgab sie ein grünes Licht, das aus den Wänden des Stahlzylinders fiel. Es schien, als liege die Molekularstruktur der Antigravröhre bloß. Als schattenhaften Umriß konnte sie die Einrichtungsgegenstände der Urmiel hinter der Röhre sehen – ein waberndes, sich aufblähendes, wieder zusammenstürzendes Gewirr, das aus Mikroelementen, Computerkonsole, Schlafkabinen und einem riesigen schwarzen, ein wenig blau strahlenden Motor bestand.
Jetzt fielen die Schiffswände völlig zurück. Sie sah in den Zwischenraum hinaus. Dort, wo sonst eine sanfte energetische Strömung floß, erstreckte sich ein roter, klebriger Brei. Es sah aus, als platzten in diesem Brei hin und wieder in
Weitere Kostenlose Bücher