Kopernikus 7
Kleider an. Sie starrte ihn einen Augenblick von der Tür aus an. „Tobias“, flüsterte sie, als zweifle sie an seinem Erscheinungsbild.
Dann, als vom Bett nicht die kleinste Regung kam, hatte sie die Tür ganz aufgemacht. Sie trat ans Bett heran. Sie sah auf das Gesicht ihres Bruders hinab. Tobias’ Gesicht wirkte kalt. Es schien bleich wie Marmor zu sein. In die Blässe mischte sich eine blaue Färbung ein. Sein Mund war weit aufgesperrt, ohne daß sein Atem ging. Die Augäpfel waren nach oben gedreht. Eine Hand, nach der Karin griff, hing schlaff herab; sie war noch warm.
Der Gang den Flur hinab währte eine Ewigkeit. Am Flurende zweigte das große Badezimmer ab. Als Karin an der Badezimmertür vorüberkam, verspürte sie einen Stich im Herz. Taumelnd trat sie durch die Türe ein. Das Badezimmer lag in einem weißen Licht. Ein durchsichtiger Plastikvorhang, hinter dem etwas lag, teilte es in zwei Hälften auf.
Karin zog den Vorhang auf und sah ihre Mutter, die nackt vor ihr lag. Es ist nicht so, daß die Wagenseils eine prüde Familie sind. Welche Geheimnisse sollte es geben, wenn man so eng zusammenwohnt? Es war vielmehr die Art, wie ihre Mutter auf dem Boden lag: ein wenig verkrümmt, ein wenig zusammengerollt, als wäre sie ein Tier, das auf dem Boden schlief. Ihre Haut glänzte unter einem weißen Schleim, während sich ihre Brust unter ihren Atemzügen leicht senkte und hob.
Noch immer schwindlig, trat Karin in die Zentrale ein. Sie preßte, als sie ihren Vater sah, die Hand vor den Mund. Er hatte sich im Steuersessel zurückgelehnt. Sein Kopf lag auf der Seite, als würde er schlafen. Er war über und über in seidige Fäden eingehüllt, in einen Kokon, der um seinen ganzen Körper lief. Vor der Berührung der klebrigen Fäden zuckte Karin zurück.
Sie blickte auch ihrem Vater ins Gesicht, das ganz grau erschien. In dieser grauen Färbung zeichneten sich scharlachrote Flecken ab. Seine Lippen waren purpurrot. Das Seidengespinst, das auch über sein Gesicht gebreitet war, bewegte sich ganz leicht, während sein Atem ging. Seine Augen waren grau und leuchteten in einem kalten Licht. Vorsichtig und fröstelnd trat Karin einige Schritte von ihm zurück.
Man sagt, daß Kinder sinnlos grausam sind. Richtig ist daran sicherlich, daß einem Kind mitunter der Sinn über den Zusammenhang, in den es mit anderen Menschen gestellt ist, abgeht. Schwierig ist es auch, wenn ein menschliches Verhalten gefordert wird, für das die Grundlage nicht gegeben ist. Und schließlich – wer weiß schon, was an zarten Keimen, an zarten Trieben in frühen Kindertagen zugrunde geht und sich auch im späteren Leben endgültig verliert? Wer weiß schon, was das für Schmerzen sind, die es anderen zufügt, wenn der Schmerz ihm selbst nicht geläufig ist? Was Karin Wagenseil betrifft, so war sie wie eine Blume, die ein heftiger Frühlingswind verweht. Noch eben in dem goldenen Licht, das, wenn auch von harten Eltern, über die Kindertage fällt, so war sie jetzt in der Urmiel gleichsam ausgeklinkt. Erst mit der Abwesenheit der Sonne versteht man, wie kühl die Nacht sein kann. Ein Schiff wie die Urmiel scheint nur aus nacktem Metall, aus blanken Leitungen und aus einem gefühllosen Elektronengehirn zu bestehen, wenn man es mit ängstlichen Augen sieht.
Die Flure des Schiffs, durch die Karin kam, waren kalt und still. Die Wände des Turnsaals schienen braun und vergilbt. In dem kugelrunden Bassin, in dem sich das Wasser ewig frisch erhielt, hing Chlorgeruch, der dem Mädchen vorher so intensiv nicht aufgefallen war. Im Maschinensaal stand das Öl klamm und dick. Die Sterne, die sie vor den Bullaugen vorüberziehen sah, blickten kühl auf sie herab. Ihre Stimme, mit der sie auf ein Tonband sprach, kam monoton zurück.
In der Biegung des Korridors hing von
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