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Kopernikus 7

Kopernikus 7

Titel: Kopernikus 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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ist, To­bi­as’ Phan­ta­sie hat­te sich über dem Sand­mann, der im Thea­ter auf­ge­tre­ten war, ge­ra­de des­we­gen, weil er ihn nicht selbst ge­se­hen hat­te, er­hitzt.
    Wäh­rend die Ur­miel flüs­ternd durch den Zwi­schen­raum strich, zeig­te sich über dem Sicht­fens­ter, das zum Flur hin­aus­ging, ein grau­es, wie von ei­ner schwar­zen Mas­ke halb ver­deck­tes Ge­sicht. Der Sand­mann hielt sein Ge­sicht schief, fletsch­te sein Ge­biß, run­zel­te die Stirn, als hät­te der klei­ne To­bi­as in sei­nen Ge­dan­ken Re­vue pas­siert.
    Dann ra­schel­te es an der Tür, die in den Schat­ten der däm­mern­den Ka­bi­ne zu­rück­wich. Der Sturm, der aus den Wän­den kam, ver­schärf­te sich, pfiff hohl und kalt. Reif senk­te sich über die Sand­ver­we­hung und über To­bi­as her­ab, und der Sand strich auf den Flur und klemm­te die ge­öff­ne­te Tür fest.
    Der Sand­mann nahm sei­nen Sack von der Schul­ter her­ab und trat ans Bett her­an. Mit ei­nem glä­ser­nen Au­ge und ei­nem höh­ni­schen Blick sah er auf To­bi­as hin­ab – so, als hät­te er einen schö­nen Gruß an des­sen El­tern be­stellt. Der Jun­ge un­ter dem Sand reg­te sich. Mit dem einen ge­öff­ne­ten Au­ge hat­te er auf den Sand­mann ge­blickt. Er rief et­was, aber das Ge­räusch wur­de vom Pfei­fen des Win­des zu­ge­deckt.
    Mit ei­ner fast nach­läs­si­gen Ge­bär­de hat­te der Sand­mann, als sei dies ei­ne Rou­ti­ne­an­ge­le­gen­heit, To­bi­as mit zwei, drei Grif­fen in den Sack ge­steckt. Als er durch die Tü­re glitt, lach­te er höh­nisch auf. To­bi­as, in dem Sack, war es bit­ter­kalt. Als der Sand­mann ge­bückt am Ba­de­zim­mer vor­über­kam, fiel aus der halb ge­öff­ne­ten Tür ein gel­bes Licht.
    Wie­der, als To­bi­as auf dem Rücken des Sand­manns um sich schlug, lach­te der Mas­kier­te auf. „Hä, hä“, bell­te sei­ne rau­he Stim­me. Dann er­losch das gel­be Licht, der Sand­mann husch­te den Gang hin­ab, es wur­de wie­der kalt, und bit­te­re Trä­nen roll­ten über To­bi­as’ Ge­sicht.
     
    Manch­mal denkt man, daß Er­wach­se­ne große Kin­der sind. Wenn man je­man­den wie­der­trifft, den man als Kind ge­kannt hat, so fal­len ei­nem die alt­be­kann­ten, viel­leicht ver­grö­ber­ten Zü­ge des Kin­des auf. Es ist ja klar, daß je­de Per­son die Sum­me ih­rer Er­fah­run­gen ist und daß al­so der klei­ne Mann und die klei­ne Frau in der grö­ße­ren Aus­ga­be ent­hal­ten sind.
    Gleich­wohl stürz­te die Mut­ter Wa­gen­seil in der Zeit, da die Ur­miel im Spin­nen­netz ge­fan­gen war, wie einen rie­si­gen Ab­hang, auf dem ih­re ge­sam­mel­te Er­fah­rung, ihr ge­sam­mel­tes Wis­sen wuchs – hier ein fröh­li­ches La­chen, ei­ne zar­te Re­gung da, ge­ball­te Ener­gie fast an je­dem Ort –, hin­ab. Es ist selt­sam, wie leicht sich doch die psy­chi­sche Sper­re, die uns vom Ab­grund trennt, lö­sen läßt. Es scheint, daß un­ter un­se­ren Fü­ßen ein schwan­ken­der Bo­den liegt, den man schon mit ei­nem un­acht­sa­men Schritt durch­bre­chen kann – hin­ge­gen scheint es ein schier end­lo­ser Kampf, wenn man wie­der an Hö­he ge­win­nen will.
    Es ver­steht sich, daß Ire­ne Wa­gen­seil nackt in die Tie­fe ge­fal­len war. Als sie sich auf dem Bo­den reg­te, lag sie zwi­schen feuch­ten Pil­zen da. Ein Schmet­ter­ling tau­mel­te durch die Luft über ihr. Ein Dut­zend ro­ter Wein­berg­schne­cken kroch – da sie noch nicht ganz bei Sin­nen war – mit wei­ßer, schlei­mi­ger Spur feucht über sie hin­weg. Da schrie sie auf.
    Ein rie­si­ges Ding senk­te sich, wäh­rend sie auf dem Rücken lag – ein Mann? ein Tier? – auf sie her­ab. Schlamm troff von dem Ding auf sie, das wie ei­ne rie­si­ge Fle­der­maus mit schla­gen­den Flü­geln knapp über ihr ver­hielt. Sie schau­te in ein spit­zes Maul. Schaum troff in lan­gen Fä­den aus der Schnau­ze der mensch­li­chen Fle­der­maus.
    Der Farn links und rechts, das Moos un­ter ihr, die Lia­nen, die sie vom Him­mel hän­gen sah, färb­ten sich wie der Him­mel rot. Es war so laut in die­sem Wald, daß Ire­ne Wa­gen­seil nicht mehr wuß­te, ob nur sie al­lei­ne schrie. Das Ding stieß einen hei­se­ren Laut über ihr aus, und als Frau Wa­gen­seil in Ohn­macht fiel – ei­ne

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