Kopernikus 8
vergraben.
Chib bleibt einen Augenblick stehen und schaut sich um. Er hat die Knie gebeugt, um im Angriffsfall rasch springen zu können, hofft aber, daß er es nicht muß, denn er weiß genau, daß seine Füße unweigerlich unter ihm wegrutschen werden.
„Bleib hier, du verkommener Hurensohn!“ tobt Papa. „Ich bring dich um! Das kannst du mit meiner Tochter nicht machen!“
Chib sieht ihm zu, wie er sich wie ein Wal bei schwerem Seegang windet und versucht, auf die Beine zu kommen. Doch er sinkt wieder hinab und grunzt wie von der Harpune getroffen. Mama ist nicht viel erfolgreicher als er.
Als er sieht, daß sein Weg frei ist – Benedictine ist irgendwohin verschwunden –, schlittert Chib über den Boden des Atriums, bis er eine unbeschäumte Stelle nahe bei der Eingangstür erreicht hat. Mit den Kleidern über dem Arm und dem Leimlöser noch in der Hand, geht er auf die Tür zu.
In diesem Augenblick ruft Benedictine seinen Namen. Er dreht sich um und sieht, wie sie von der Küche auf ihn zuschlittert. In der Hand hält sie ein hohes Glas. Er fragt sich, was sie damit vorhat. Gewiß will sie ihm nicht freundlich einen Drink anbieten.
Dann erreicht sie ein trockenes Fußbodenstück und wirft sich mit einem Aufschrei vorwärts. Sie kann den Inhalt des Glases treffsicher nach ihm schleudern.
Chib schreit, als er das kochendheiße Wasser spürt – so schmerzhaft, als wäre er ohne Narkose beschnitten worden.
Benedictine liegt auf dem Fußboden und lacht. Chib hüpft wie ein Wilder kreischend hin und her und hält die gemarterten Teile mit den Händen, Kleider und Spraydose hat er fallen lassen. Aber schließlich erlangt er wieder seine Selbstbeherrschung. Er stoppt sein Gehopse, umklammert Benedictines rechte Hand und zerrt sie auf die Straßen von Beverly Hills hinaus. Es sind noch einige Leute unterwegs, und die folgen den beiden. Er hält erst am See an und springt hinein, um die verbrühten edlen Teile abzukühlen, und Benedictine folgt ihm hinterher.
Die Menge weiß später viel darüber zu erzählen, nachdem Benedictine und Chib aus dem Wasser gekrochen und nach Hause geeilt sind. Die Menge redete und lachte sogar noch eine ganze Weile danach, während sie den Leuten vom Gesundheitsamt zusahen, die den See und den Straßenbelag vom Schaum reinigten.
„Ich war so wund, daß ich einen ganzen Monat kaum gehen konnte!“ ereifert sich Benedictine.
„Du hattest es so gewollt“, sagt Chib. „Du hast gar keinen Grund zur Beschwerde. Du hast gesagt, du wolltest mein Baby, und das hat sich so angehört, als wäre es dein Ernst gewesen.“
„Ich muß von Sinnen gewesen sein!“ schreit Benedictine. „Nein, war ich nicht! Ich hab’ so was nie gesagt! Du hast mich angelogen! Du hast mich gezwungen!“
„Ich würde nie jemanden zwingen“, sagt Chib. „Das weißt du. Hör auf herumzuquengeln. Du bist ein freies Wesen, und es war deine freie Entscheidung. Du hast deinen eigenen Willen.“
Omar Runic, der Poet, steht von seinem Stuhl auf. Er ist ein großer, schlanker und bronzehäutiger junger Mann mit einer Adlernase und wulstigen Lippen. Sein Kraushaar ist lang und in der Form der Pequod geschnitten, jenes fabelhaften Schiffs, das den verrückten Kapitän Ahab und seine Mannschaft sowie den einzigen Überlebenden, Ismael, nach dem Angriff des Wals an Bord genommen hat. Die Frisur ist mit einem Bogenspriet und einer Hülle und drei Masten geformt, und sogar die Wanten und Rettungsboote sind zu erkennen.
Omar Runic klatscht in die Hände und ruft: „Bravo! Ein Philosoph! Freier Wille ist es; freier Wille, die ewigen Wahrheiten zu suchen – falls existent – oder ewige Verdammnis! Ich trinke auf den freien Willen! Ein Trinkspruch, meine Herren! Stehet auf, Junge Rettiche, ein Trinkspruch auf unseren
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