Kopernikus 8
das der Mann ihr gegeben hat, ehe er das Findlingsei auf das Stroh legte.
Das Baby hat ein hübsches Gesicht, das vom Glühen des Heiligenscheins erhellt wird. Die Frau hat ihm den Heiligenschein vom Kopf genommen und benützt ihn, um das Kind damit zu schlachten.
Chib verfügt über ein ausgezeichnetes anatomisches Wissen, denn während seiner Studienzeit an der Uni von Beverly Hills hat er eine ganze Menge Leichen seziert, bis er seinen Doktortitel hatte. Der Körper des Kindes ist nicht unnatürlich in die Länge gezogen, wie das bei vielen Figuren von Chib der Fall ist. Er gleicht schon fast der Fotografie eines wirklichen Babys. Durch ein großes, blutiges Loch sind die Eingeweide zu sehen.
Die Zuschauer sind vor Entsetzen starr, als wäre dies nicht ein Gemälde, sondern ein wirkliches Kind, das sie verstümmelt und mit heraushängenden Eingeweiden beim Verlassen des Hauses auf ihrer Schwelle gefunden haben.
Das Ei hat eine halbtransparente Schale. Im gelben Dotter schwebt ein böser kleiner Teufel, Hörner, Hufe, Schwanz. Seine verschwommenen Züge erinnern an die von Henry Ford oder Onkel Sam. Wenn Betrachter sich von einem Bein aufs andere bewegen, dann tauchen die Züge weiterer Persönlichkeiten auf: Prominente der Entwicklung zur modernen Gesellschaft.
Vor dem Fenster drängen sich wilde Tiere, die zum Anbeten gekommen sind, doch nun schreien sie wortlos und entsetzt hinter der Scheibe. Die Tiere im Vordergrund gehören allen Arten an, die von den Menschen ausgerottet wurden oder nur noch in Zoos und Naturschutzgebieten überleben konnten. Die Dronte, der Blauwal, die Wandertaube, der Quagga, der Gorilla, der Orang-Utan, der Polarbär, der Puma, der Löwe, der Tiger, der Grizzlybär, der kalifornische Kondor, Känguruh, Wombat, Rhinozeros, Adler.
Im Hintergrund haben sich auf einem Hügel tasmanische Ureinwohner und haitische Indianer eingefunden.
„Wie lautet Ihre Meinung zu diesem bemerkenswerten Bild, Doktor Luscus?“ fragt ein Fidointerviewer.
Luscus lächelt und sagt: „Ich werde Ihnen in wenigen Minuten ein fachgerechtes Urteil abgeben können. Vielleicht sollten Sie sich zuerst mit Doktor Ruskinson unterhalten. Er ‚scheint sich bereits eine Meinung gebildet zu haben. Sie wissen ja, Kinder und Narren …“
Ruskinsons rotes Gesicht und seine Schreie werden über Fido übertragen.
„Die Scheiße geht um die ganze Welt“, sagt Chib laut.
„BELEIDIGUNG! RAMSCH! PLASTIKMIST! EIN SCHLAG INS ANGESICHT DER KUNST UND EIN TRITT IN DEN UNTERLEIB DER MENSCHHEIT! BELEIDIGUNG! BELEIDIGUNG!“
„Warum ist es denn so eine Beleidigung, Dr. Ruskinson? Weil es sowohl den christlichen wie auch den panamoritischen Glauben verspottet?“ fragt der Fidointerviewer. „Ich habe diesen Eindruck nicht. Mir scheint, daß Winnegan versucht, die Menschheit vor einem pervertierten Christentum zu retten, vielleicht vor allen Religionen und Idealen, die nur auf der Gier der Selbstbereicherung aufgebaut sind. Er will sagen, daß der Mensch im Grunde genommen ein Killer und Perverser ist. Selbstverständlich sehe nur ich das darin, aber ich bin schließlich nur ein biederer Angestellter und …“
„Überlassen Sie die Beurteilung den Kritikern, junger Mann!“ schnappt Ruskinson. „Haben Sie etwa einen zweifachen Doktortitel, einen in Psychiatrie und einen in Kunstgeschichte? Wurden Sie von der Regierung mittels Zertifikat als Kritiker zugelassen?
Winnegan, der überhaupt kein Talent hat, geschweige denn das Genie, das ihm gewisse dickschädelige Tunten bescheinigen, dieser Auswurf von Beverly Hills, stellt hier seinen Schrott aus – einen wertlosen Mischmasch, der einzig und
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