Kopernikus 8
eilte er weiter den Pfad entlang. Die rote Sonne flackerte zwischen Blättern und Stämmen, während er ging. Der Pfad führte sanft gekrümmt hinab, dann stieg er weiter an, führte um einen Felsen herum und dann direkt bis zum Waldrand, nur wenige Meter von der Eingangstür der Hauptkuppel entfernt.
Er blieb stehen und fühlte sich taub und alt. Seine linke Wange begann zu schmerzen, Tränen rannen herab. Spatz rannte los.
Die Tür schlug zu und sperrte den Spätnachmittag aus. Schritte eilten die Rampe herab. Coyote, der nähte, sah auf. „He …“ Seine grauen Augen folgten Spatz, der wie ein Blitz durchs Zimmer eilte und hinter der blauen Flanelltür verschwand. „Puh“, sagte er. „Ich frage mich, was diese Eile zu bedeuten hat.“
Schwan, die neben ihm saß, holte ein Stopfei aus einer Socke und sah ihren Sohn an. „Hast du die Tränen nicht gesehen?“
„Was?“ Coyote hob die Schultern seiner roten Haarwolke entgegen. „Aber …“
„Ich habe Spatz die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen“, erklang Fuchsias Stimme hinter einem Paar Hosen. Flipp, flapp, und schon landeten sie zusammengelegt auf dem Wäschestapel. „Ich glaube, Spatz hat das alles … besonders aufgenommen“, sagte er. „Ich glaube, daß er es aus der Sicht eines Fünfjährigen wirklich verstanden hat.“
Danach wurde es im Zimmer einige Minuten still, abgesehen vom Geräusch von Stoff auf Stoff. Dann sagte Coyote: „O Gott …“
„Ich glaube, Spatz war ergriffen“, sagte Schwan. „In einem religiösen Sinn.“
Coyote sah sie einen Augenblick stumm an, dann steckte er den Flicken, den er festnähte, mit einer Nadel fest und stand auf.
„Nun mach mal einen Punkt, Coyote“, begann Schwan, doch er war schon verschwunden. Sie sank wieder zurück, schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. „Mein Gott, wann wird der Mann jemals lernen, jemanden allein zu lassen?“
Spinne schob die Tür beiseite (ein Schnappschuß eines Spiralmoleküls, Seide auf Sackleinwand) und kam ins Zimmer. „Schwan“, sagte sie, „ich muß euch etwas …“
„Er hört einfach nicht zu“, sagte Schwan. „Und Spatz kann es nicht.“
„Schwan …“
„Na gut, ich schätze, wir müssen sie einfach in Ruhe lassen, damit sie gemeinsam ihre Antworten finden können.“ Wieder schüttelte sie den Kopf.
Spinne seufzte. „Da hast du wohl recht.“
Fuchsia stieß Schwan an und räusperte sich. „Spinne, wolltest du …“ sagte er.
Spinne lächelte ihrem Bruder erschöpft zu und schüttelte den Kopf. Sie wandte sich um und ging wieder in ihr Zimmer, um zu packen.
Coyote fand Spatz in Decken vergraben an einer Wand der kleinen Kuppel. „He“, sagte er und schüttelte sanft Spatz’ Schulter. „Ich bin’s.“ Er drehte den Jungen auf den Rücken und betrachtete dessen rote Augen. „He, was hältst du denn von der Geburt heute? Ich fand, daß sie wunderschön war, du nicht auch?“
Spatz schüttelte nickend seine braune Mähne.
„Was denkst du darüber? Was hast du empfunden? Das würde ich wirklich gerne wissen.“
Spatz runzelte die Stirn und lächelte fast, doch dann begann er zu schluchzen. Coyote suchte nach seiner Hand und drückte sie.
„War es denn nicht hübsch?“ fragte er. „Ich habe in meinem Leben drei Geburten gesehen, eine davon war deine … und jedesmal war es zu gut, als daß man es beschreiben könnte, und viel zu schön.“
Sein Sohn wandte sich ab und weinte ungeniert in die Decke.
„He“, sagte Coyote. „He.“ Und er fuhr mit der Hand über den bloßen Arm, der unter der Decke hervorragte. Spatz gab ein langgezogenes, tiefes Heulen von sich, bei dem es Coyote kalt den Rücken hinunterlief. Er drehte den Jungen behutsam wieder um. Spatz sah ihn mit hellen, feuchten Augen an und zog auch die andere Hand unter der Decke hervor. Seine Finger
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