Kopernikus 8
führte. Coyote stellte seine Teetasse ab und folgte ihnen. Er fühlte sich gesellschaftlich isoliert und gleichzeitig irgendwie klar im Innern und dem Augenblick verhaftet. Er lächelte und nickte, wenn er Freunde sah, aber ihm war nicht danach zumute, mit jemandem zu sprechen, und mit ihm sprach auch keiner. Die Standuhr im Flur zeigte drei Uhr fünfzehn, das lange Pendel tickte langsam hinter dem Glas vor und zurück.
Das Gemeinschaftszimmer war ein zweistöckiger Raum. Wanderer saß im Lotossitz in der Mitte, während ihre Freunde den um sie verbleibenden Raum zu füllen begannen, die Kinder vorn, die größten Erwachsenen säumten die Wände. Coyote saß zwischen Menschen seiner Größe etwa in der Mitte der Versammelten. Seiner Schätzung nach hatten sich etwa hundert Menschen hier versammelt. Einige von ihnen erkannte er als Mitglieder dieses Haushalts. Er sah Schwan und Fuchsia, die zusammen rechts von ihm saßen, aber keiner sah zu ihm herüber. Fast jeder sah zu Wanderer. Coyote wandte sich ab, überkreuzte die Beine zu einer angenehmen Halb-Lotosstellung, und dann sah er Spatz“ knochige Gestalt unter der Tür auftauchen. Er wünschte sich, der Junge würde in seine Richtung sehen …
Die Gruppe atmete nun im gleichen Rhythmus mit Wanderer. Sie zog die Bauchdecke ein, entspannte sich wieder, mit jedem Atemzug hoben und senkten sich ihre Nasenflügel sichtbar. Man hörte nur noch das gemeinsame Atmen sowie die Schreie von Kindern und das Bellen von Hunden draußen. Wanderers runder Bauch erzitterte. Die Versammelten stimmten einen leisen Gesang an, dessen Rhythmus sich dem Atmen der Schwangeren und den Kontraktionen ihres Uterus anpaßten. Coyote räusperte sich und fügte dem Chor sein eigenes Murmeln hinzu. Sie waren wie ein Ozean zu Wanderers Mond, dachte er, und verwahrte die Metapher sorgsam an einem Ort, wo er sie wiederfinden konnte, wenn er wieder an seinen Gedichten arbeitete.
Der Gesang schwoll in immer stärkeren Wogen an und wieder ab. Eine der drei Mitfrauen hielt eine Armbanduhr in der Hand und murmelte Wanderer hin und wieder etwas zu, obwohl deren Konzentration völlig nach innen gekehrt schien. Sie hatte die Augen geschlossen und den Mund geöffnet. Sie veränderte mehrere Male ihre Haltung, bis sie schließlich die Gesäßbacken fest an den Boden preßte. Die Hände einer weiteren Mitfrau – Coyote kannte sie von den Gemeinschaftsgärten, ihr Name war Gael – ruhten auf Wanderers Schultern, um sie zu stützen, während die dritte auf dem Leinentuch lag und Wanderers Bauch, ihre Lenden und die ausgedehnte Vagina massierte. Als Wanderer schrille Laute der Ekstase und des Schmerzes von sich gab, erreichte auch der Gesang einen Höhepunkt, und dann erschien verblüffend rasch das nasse, rote Rund des Babykopfes zwischen ihren Schenkeln. Wanderer lehnte sich in Gaels Arme zurück, während die dritte Mitfrau das Baby in die Arme nahm. Die Hüften, die Knie und die winzigen Füßchen kamen heraus, schließlich hob die Frau das Baby empor und legte es auf Wanderers Bauch. Wanderers Hände griffen suchend hinab, spürten den Kopf und die kleinen Händchen. Da lächelte sie ganz kurz. Coyote war der Meinung, daß sie erschöpft aussah. Gael schob ihr ein Kissen unter den Kopf. Im Raum war es sehr still geworden, und das blieb auch so, bis das Baby nach mehreren Minuten den Gebrauch seiner Lunge entdeckte und einen kurzen Schrei ausstieß – dann erst begannen die Versammelten zu murmeln, zu lachen oder zu weinen.
Coyote blieb nicht und sah sich auch das Durchtrennen der Nabelschnur und die Riten nach der Geburt nicht an. Er erhob sich ungelenk und gesellte sich zu einigen anderen draußen.
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