Kopernikus 8
Niemand sagte etwas, sie sahen alle nur ernst oder glücklich drein. Jemandem im Garten wurde übel, Freunde halfen ihm. Ein Mann, den Coyote nicht kannte, lachte laut, obwohl seine Wangen tränenverschmiert waren, und breitete die Arme zur Sonne aus.
Coyote sah sich nach Spatz um.
„Aber schau dir doch nur die Augen an! He, hallo, Kleines!“ Spinne berührte die winzige Handfläche mit einer Fingerspitze, die Hand schloß sich um ihren Knöchel, die Augen schauten wiederholt zu ihr hinauf. Spinne lächelte auf Wanderer hinab. „Hast du das gesehen?“ Sie nahm Wanderers rechte Hand und schloß sie sanft um die Hand des Babys, die ihren Finger umklammert hielt. „Siehst du? Ich meine, fühlst du es? Das ist ein instinktiver Mechanismus aus der Zeit, als wir noch alle Haare auf Bauch und Rücken hatten, an denen die Neugeborenen sich festklammern konnten.“
Wanderers marmorfarbene Augen schimmerten feucht, und sie sah zur Decke empor. „Ich verstehe“, sagte sie.
Spinne lächelte und küßte die Finger der Frau. „Du hast alles gut überstanden, Kleines, wirklich prima. Das Baby ist sogar eine Sie.“
Wanderer lächelte erschöpft und schüttelte den Kopf. „Du weißt, Liebes, daß ich schon lange behaupte, eine Geburt sei weniger Frauen- als Menschensache. Zu schade, daß die Hälfte unserer Bevölkerung leider außerstande ist, selbst diesen göttlichen Erschöpfungszustand zu erleben.“
Spinne lachte. „Pssst. Über Politik können wir uns später unterhalten.“ Und plötzlich war sie traurig. Der Gemeinschaftsraum war fast verlassen, die Sonne ging unter. Oder vielmehr, dachte Spinne, die Erde ging auf. Sie spürte eine Träne, die ihre Wange hinabrollte. „Wanderer?“ Sie suchte in ihrer Tasche nach einem Stück Papier.
„Mmm?“ Wanderer schien schon fast eingeschlafen zu sein.
„Wir sehen uns später, ja?“
Sie nickte verträumt.
„Sagen wir … in einem Jahr?“
Wanderer öffnete Augen, die nicht sahen.
„Ich gehe“, sagte Spinne mit einiger Anstrengung. „Ich weiß nicht, wohin. Wahrscheinlich nach Osten, nach Virginia. Ich möchte etwas Staub zwischen den Zehen spüren und mal was anderes sehen.“ Sie wartete darauf, daß Wanderer etwas sagte, aber diese gab keine Antwort. „Ich werde im nächsten Frühjahr zurückkehren, das verspreche ich dir. Denk doch nur. Diese kleine Lady hier wird dann schon im Haus umhergehen können.“
Nun lachte Wanderer unter Tränen. „Das bezweifle ich!“
„Ich liebe dich“, sagte Spinne.
„Ich liebe dich auch.“
Spinne beugte sich hinab und küßte ihre Wangen, ihre Lippen. Sie liebkoste das Kind, dann erhob sie sich und entfernte sich rasch.
Mit dem Fahrrad? Nein, zu Fuß. Den Asphaltweg verlassen und den Hirschpfad im Wald benutzen. Fichten, Büsche, Brombeersträucher und der schwere, süße Geruch des Nachmittags. Spatz rannte den Pfad entlang, bis er keuchend atmete. Er blieb stehen, zog die Hose hinunter und Buckte sich, um einen hellgrünen Trieb zu beobachten, der sich gerade durch das krümelige Erdreich bohrte. Babypflanze, Babymädchen. Sterben, alt sein. Man selbst sein. War Schwan auch einmal ein Baby gewesen? Spatz schüttelte nachdenklich den Kopf.
Er fragte sich, ob jeder bei der Geburt so aussah. So still, so kläglich, schimmernd, verschmiert, so rot und blau und winzig! Spatz war fast sechs, viel größer als Wanderers Baby, aber verglichen mit Spinne und Coyote und Fuchsia und Rose war er immer noch ein Baby – und verglichen mit Schwan waren sie wiederum alle Babys. Und Schwan war auch ein Baby, verglichen mit … mit Douglas. Aber wo endete das?
Er zitterte, denn es war schattig um ihn her. Er richtete sich ungeschickt wieder auf und zog die Hosen hoch, dann
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