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Kopfgeldjagd

Kopfgeldjagd

Titel: Kopfgeldjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Homm
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Jahren ausgeht, beträgt die Wahrscheinlichkeit, in Caracas ermordet zu werden, 16 Prozent und die Wahrscheinlichkeit, angeschossen oder mit einem Messer angegriffen zu werden, fast 80 Prozent. Seit Hugo Chávez an der Macht ist, hat die Gewaltkriminalität um 400 Prozent zugenommen. Chávez, der ­Champion der Umverteilung, ist der schlechteste Mikromanager in ganz Lateinamerika. Die Stadt hat ein äußerst angenehmes Klima und befindet sich auf einem fruchtbaren Plateau. Extremer Reichtum trifft hier auf bitterste Armut, aber das ist in anderen Entwicklungsländern letztlich auch nicht anders. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ist ungefähr sechsmal so hoch wie in Nicaragua, die Mordrate liegt jedoch um das Zwanzigfache höher.
    Laut allgemeiner Überzeugung hängt Gewaltkriminalität mit Armut zusammen. Das ist aber grundfalsch. Viele der ärmsten Länder haben auch die geringsten Kriminalitätsraten. Es gibt überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Armut und Gewaltkriminalität. In Venezuela ist sie das reine Ergebnis eines jahrzehntelangen Missmanagements, systematischer Korruption und falsch gesetzter Prioritäten. Venezuelas Gefängnissystem ist so angelegt, dass nur zehn Prozent der gewalttätigen Wiederholungstäter eingesperrt werden können. Es gibt einfach nicht genug Gefängniszellen. Die Regierung und die Polizei wirtschaften seit Jahren in die eigene Tasche, und Chávez unternimmt nichts, um die Gewaltkriminalität zu bekämpfen, denn sie schwächt seine kapitalistischen Gegner.
    Fast die Hälfte aller Gewalttaten in Caracas werden von der Polizei begangen. Einen Auftragsmörder bekommt man bereits für zehn Dollar. Im Jahr 2007 hörte die venezolanische Regierung auf, Mordraten zu veröffentlichten, da die Zahlen einfach zu schockierend waren. Das Land ist zur Heimat von rund 100.000 hartgesottenen kolumbianischen Gangstern geworden, die für lumpige 5.000 Dollar die venezolanische Staatsbürgerschaft erworben haben. Dabei wären Venezuelas beträchtliche Einnahmen aus dem Ölexport mehr als ausreichend, um das Problem zu lösen. Doch solange das in der Regierung niemanden interessiert, wird sich die Situation nur verschlimmern.
    Als ich im November 2006 in Caracas angeschossen wurde, verlor ich meine Milz und einen Teil meiner Lunge und eine Kugel blieb im zwölften Wirbel stecken, nur wenige Millimeter vom Spinalnerv entfernt. Eine andere Kugel vom Kaliber 38 zerschmetterte das Knie meines Freundes. Als wir im Krankenhaus eintrafen, wurde mir dreimal der Puls gemessen. Ich war nur wenige Minuten vom Tod durch Verbluten entfernt, aber die Ärzte hatten nichts Besseres zu tun, als meinen verdammten Puls zu messen. Sie hatten einfach noch nie erlebt, dass das Opfer einer traumatischen Schießerei einen derart normalen Herzschlag hatte.
    Es dauerte Jahre, bis ich mir eingestand, dass dieser Überfall möglicherweise ein verdeckter Mordversuch war, wie einige Kommentatoren meinten. Wie die Ärzte mir bestätigten, führt eine Kugel dieses Kalibers, die auf so kurze Distanz abgefeuert wird, normalerweise zum Tod. Meinem Begleiter wurde »nur« ins Knie geschossen. Der Fahrer blieb unverletzt. Dieser Überfall war gut organisiert und wurde von der venezolanischen Polizei unterstützt. Planung und Ausführung waren hervorragend.
    Ich bin nicht besonders mutig oder risikofreudig. In bildgebenden Verfahren, bei denen mein Gehirn gescannt wurde, zeigte sich, dass mein Frontallappen einfach nicht vollständig ausgebildet ist. Meine geistige, emotionale und physikalische Beschaffenheit unterscheidet sich von anderen Menschen. Ich habe ein unterdurchschnittliches Schmerzempfinden. Mein Puls entspricht dem untersten Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Die meiste Zeit bin ich beinahe klinisch tot. Ich erlebe fast nie Adrenalinschübe. All das versuchte ich dem medizinischen Personal auf Spanisch zu erklären, aber sie ignorierten mich und maßen mir immer wieder den Puls. In der Zwischenzeit war ich dabei, zu verbluten.
    In Caracas habe ich Tod und Hölle gesehen. Ein Zollbeamter hatte jemanden von der Polizei informiert, dass zwei reiche Gringos in einer Limousine auf dem Weg in die Stadt waren und dass beide Rolex-Uhren trugen. Kurz bevor wir in die Innenstadt kamen, tauchte neben uns plötzlich ein Motorrad der Polizei mit zwei Fahrern auf, die begannen, einen Kugelhagel auf das Autofenster abzufeuern. Ich wurde aus einer Entfernung von etwas mehr als einem halben Meter in die Brust geschossen und mein

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