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Kopfgeldjagd

Kopfgeldjagd

Titel: Kopfgeldjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Homm
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Studienabschluss verdienen würden. Ich stammte von einem anderen Planeten, der in eine feindliche und fremde Umgebung verpflanzt worden war – der Pariser Playboy in der krassen unitaristischen Bostoner Landschaft.
    Von den Studenten im Grundstudium wurde erwartet, dass sie neben den Vorlesungen neun Stunden täglich lernten. Ich hatte in meinem ganzen Leben nie mehr als ein paar Stunden nach der Schule gelernt. Bei den Vorlesungen war Anwesenheitspflicht. Ich hatte noch nie regelmäßig an irgendeinem Unterricht teilgenommen. Es gab große Studentenproteste, um zu erreichen, dass die Bibliotheken 24 Stunden geöffnet wurden. Warum in Gottes Namen? Um den hunderttausendsten Aufsatz über Paul Reveres brillante Kommunikationsfähigkeiten oder Adam Smiths unsichtbare Hand zu schreiben?
    Mindestens die Hälfte der Studienanfänger waren Jungfrauen und drei Viertel waren männlich. Die Mädchen waren im Schnitt nicht nur wahnsinnig hässlich, sondern zum großen Teil sexuell unerfahren, unglaublich prüde, selbstgerecht und im Bett völlig nutzlos – alles in allem eine grauenhafte Kombination. Nichtsdestotrotz gelang es mir, im ersten Studienjahr mehrere der von der Natur weniger benachteiligten Kreaturen abzuschleppen. Eine nannte mich einen Hedonisten. Eine andere bezeichnete mich als Narzist. Was ist falsch ­daran, Spaß zu haben? Ist doch besser, als sich wegen einer Zwischenprüfung in organischer Chemie die Nägel abzubeißen. Und das einzige Problem mit Eigenliebe besteht darin, dass sie nicht erwidert wird.
    Dieser Kulturschock traf mich völlig unvorbereitet, und so stand ich im ersten Studienjahr ständig kurz vorm Rausschmiss. Mein erstes Zwischenzeugnis enthielt ein B, zwei Cs und eine Lücke. Die fehlende Note bezog sich auf das Fach schriftliche Darlegung. Die Professorin kommentierte dies mit den Worten, zwar sei ich angeblich am Harvard-College eingeschrieben, aber sie sei bisher nicht in den Genuss meiner Bekanntschaft gekommen. Sie sagte, sie freue sich darauf, mich vor dem Ende des Semesters kennenzulernen, wahrscheinlich, um mir eine F minus – das entspricht einer Sechs minus – zu geben. Falls sich meine Noten nicht dramatisch verbesserten, würde ich im Januar zwangsexmatrikuliert.
    Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, legte ich dämliche weiße Jungs im Billardraum der Uni (Glücksspiel) aufs Kreuz, jagte dem Aufseher des Billardraums schwere Angst ein (Gewalttätigkeit) und wurde von der Fakultät für Romanische Sprachen des Plagiats bezichtigt – dieser Vorwurf bezog sich auf einen Aufsatz über Vautrin, einen der Antihelden Balzacs, den ich von einem bekannten französischen Literaturkritiker mehr oder weniger abgeschrieben hatte (akademischer Betrug, wenngleich ich keine Ahnung hatte, was Plagiat bedeutete). Zudem hatte ich die schlechteste Anwesenheitsbilanz des gesamten ersten Studienjahrs. Meine Situation war so hoffnungslos, dass sie schon wieder komisch war. Man würde mich ohne Zweifel hinauswerfen.
    Meine rettende Seele war meine Tutorin, die heilige Ellen Porter. Bis heute weiß ich nicht, was sie in mir sah, aber ihr gelang das Unmögliche und sie sorgte für meinen Verbleib an der Uni. Mit aufrichtigen Schuldbekenntnissen, einer tiefen moralischen Introspektion und sogar Tränen sowie einer oscarreifen Schauspielleistung, mit der ich Besserung gelobte, gelang es mir, der gerechten Strafe zu entkommen. Mein Ehrgeiz, ein mehrsprachiger Diplomat zu werden, war jedoch in tausend Scherben zersprungen. Als niederträchtiger Dieb fremden geistigen Eigentums konnte ich kaum an der Fakultät für Romanische Sprachen bleiben und wechselte daher in das Economics Department. Endlich verschrieb ich mich ganz dem Kapitalismus.
    Trotz des Chaos, in dem ich mich befand, hatte ich mich mit Lynne Valencia Perry, einer heißen Afroamerikanerin, liiert, die in den folgenden sechs Jahren meine Hauptfreundin sein sollte. Sie übte einen zutiefst positiven Einfluss auf mich aus. Lynne half mir, meine akademischen Schwächen zu überwinden. Ich belegte Kurse in afroamerikanischer Geschichte und übte im Ausgleich Deutsch mit ihr. Sie drängte mich dazu, mich für karitative Zwecke zu engagieren, dämpfte meinen angeborenen Merkantilismus und erweiterte meinen Horizont. Sie war Lektorin an der Cambridge Catholic Church und ich ging sogar zur Messe, um ihre wohlklingende Stimme zu hören.
    In einem Sommer verbrachte ich einige Zeit bei ihrer Familie in einer rein schwarzen Oberschichtgegend von

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