Kopfgeldjagd
Millionen schweren Einzelhandelsorganisation, die Bücher, Musik und Merchandising-Artikel mit Harvard-Logo verkauft und in deren Verwaltungsrat der legendäre Professor und Wettbewerbsguru Michael Porter saß. Anschließend begann ich mit Aktien zu spekulieren und gründete eine erfolgreiche Investmentpartnerschaft mit meinem Freund Michael Kagan. Mike war einer der Manager des Basketballprogramms von Harvard und ein ernsthafter Aktienspekulant. Er half mir dabei, ein Handelskonto bei Fidelity zu eröffnen. Ich investierte mein gesamtes Geld in seine erste Empfehlung, Sunbeam Electronics – ein heißer Tipp. Das Unternehmen erhielt vier Tage später eine üppige Übernahmeofferte und ich verdiente 7.150 Dollar, ohne einen Finger zu rühren. Der Rausch, bei minimalen Risiken meinen Einsatz beinahe zu verdoppeln, war besser als eine Heroinpfeife.
Von da an war ich völlig aufs Investment fixiert. Anstatt mit reichen geschiedenen Frauen und degenerierten Playboys in angesagten Pariser Nachtklubs abzuhängen, widmete ich mich ernsthaft dem Geldverdienen und meiner beruflichen Karriere. Ich wurde zum Sekretär der Studentenvertretung Harvard International Students Organisation und zum Präsidenten des prestigeträchtigen Klubs Harvard Finals gewählt. Ich lernte schnell, mich von Kursen fernzuhalten, die aus kleinen Studiengruppen bestanden, oder Kursen, bei denen die Anwesenheit streng überwacht wurde. Es dauerte zwei Semester, bis ich herausgefunden hatte, wie ich mit geringstmöglichem Einsatz den bestmöglichen Notendurchschnitt erreichen konnte. Die meiste Zeit machten sich die Studenten doppelte Arbeit. Wenn man das Kursmaterial wirklich studierte, dann war der Besuch der Vorlesungen überflüssig. Wenn man sich ausschließlich auf die Zwischen- und Abschlussprüfungen konzentrierte, konnte man in der Zwischenzeit viel Freizeit gewinnen und mehr erreichen als bestandene Prüfungen.
Einen Kurs gab es jedoch, den ich möglichst regelmäßig besuchte: Nazideutschland und der Holocaust, informell auch »Krauts and Doubts« 3 genannt, gehalten von Professor Hunt. Ich hatte Hunt bereits kennengelernt: Als Präsident der einflussreichen Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft war er mit Necko und seiner Rolle in Nazideutschland ziemlich vertraut. Er ermutigte mich, seinen Kurs zu besuchen und Feldforschung zu diesem Thema zu betreiben, das heißt Menschen zu befragen, die diese Zeit selber erlebt hatten.
Das klang potenziell herrlich explosiv. Ich würde in meiner Familie herumschnüffeln können und Professor Hunt als Alibi verwenden. Ich würde unangenehme, bohrende Fragen stellen. Ich würde in das kollektive Unterbewusstsein des deutschen Geistes eindringen und einige schauerliche Details über Mittäterschaft und widerwärtige Geschäftemacherei zutage fördern. Das würde heftig werden. In meiner Jugend wurde jedes Gespräch über die Nazizeit mit allen Mitteln vermieden. Unsere deutsche öffentliche Schule widmete dieser dunklen und finsteren Phase der Geschichte zwei bedeutungslose Unterrichtsstunden. Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte, würde jemals zugeben, Anhänger dieses verdorbenen Regimes gewesen zu sein, und dennoch waren Millionen Menschen daran beteiligt gewesen, wobei die Elite ohne den geringsten Zweifel genau wusste, was vor sich ging.
Die erste Vorlesung des Kurses war jedoch ein echter Schocker. Professor Hunt stellte mich vor und beschrieb mich als Nachkomme einer deutschen Familie, die Zeuge (soll heißen »aktiver Teilnehmer«) der Geschehnisse in Nazideutschland von 1933 bis 1945 gewesen war. Er bat mich aufzustehen, damit mich jeder sehen konnte. Dann fügte er hinzu, er erwarte von mir, dass ich von noch lebenden Familienmitgliedern wertvolle Informationen aus erster Hand beschaffe, sozusagen als Kontrast zu den Schilderungen der Überlebenden der Konzentrationslager und ihrer Nachkommen, die ebenfalls an diesem Kurs teilnahmen.
Ein Drittel der Kursteilnehmer machte nach dieser Vorstellung ihren Unmut laut. Sie murmelten nicht, sie fauchten mich an. Als ich mich hinsetzte, wandte ich mich an den Studenten, der neben mir saß, und fragte ihn, was das Ganze solle. Er antwortete in einem Ton, als ob ich an diesem Morgen seine neunjährige Schwester vergewaltigt hätte: »Du bist Teil des Problems. Alle Deutschen sind für das, was den Juden im Allgemeinen und meiner Familie im Besonderen zugefügt wurde, verantwortlich.« Ich war verblüfft. Das war wirklich unfassbar. Wie konnte
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