Kopfgeldjagd
ihn aus einem stinklangweiligen Streberjob bei Hewlett-Packard in Paris gerettet. Außerdem war er mein bester Freund (bis er Ute, die Exfrau meines Bruders, heiratete). Wir zwei waren eine perfekte Kombination: der hochintelligente, aber zerstreute Professor und der fokussierte, mit allen Wassern gewaschene Kapitalist. Kevin konnte meine analytischen Konzepte in hochfunktionelle und effektive Investment-Softwareprogramme übersetzen. Abgesehen davon, dass er ein Genie war, war Kevin außerdem ein Weltklasse-Programmierer. Wie seine Schwester war Kevin tief religiös, und anders als ich konnte er Richtig von Falsch unterscheiden. Wir waren ein tolles Team.
Wir harmonisierten die unterschiedlichen Bilanzrichtlinien in Europa, und zwar viele Jahre, bevor das Standard wurde. Das Konzept war sowohl einfach als auch revolutionär. Außerdem war die Anwendung eine unglaubliche Herausforderung. Damals hatte jedes europäische Land seine eigenen Bilanzrichtlinien. Englische Unternehmen überbewerteten ihre Gewinne in den veröffentlichten Bilanzen, wohingegen deutsche und Schweizer Unternehmen ihren Aktionären im Wesentlichen ultrakonservative Steuererklärungen präsentierten, wobei sie ihre Profitabilität dramatisch unterbewerteten. Wenn man zum Beispiel an die Bilanzen der Lufthansa die britischen Bilanzrichtlinien anlegte, erhielt man ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von drei. Legte man an die Bilanzen der British Airways umgekehrt deutsche Bilanzrichtlinien an, ergab sich ein Verlust.
Eine Software, die die Unternehmensergebnisse bei all diesen unterschiedlichen Bilanzrichtlinien vergleichbar machen und sich auf Cashflow und Hard Assets konzentrieren würde, vermittelte ein profundes, zuverlässiges Verständnis des relativen Werts und der relativen Attraktivität europäischer Unternehmen und Industrien. Diese Analyse würde mir nicht nur ermöglichen, die besten versteckten europäischen Eigenkapitalwerte aufzuspüren, sondern wäre auch ein Ausgangspunkt zur Bestimmung der besten Leerverkaufskandidaten, denn sie würde zutage fördern, welche Unternehmen ihre Gewinne mit Bilanztricks aufpolierten. Was das Ganze noch interessanter machte, war der Umstand, dass die europäischen Bilanzrichtlinien im folgenden Jahrzehnt mit Sicherheit harmonisiert würden. Als Folge würden die Investoren ihr Geld aus überbewerteten Unternehmen abziehen und vermehrt in unterbewertete Unternehmen investieren, mit der Aussicht auf überdurchschnittliche Kapitalgewinne. Wir kannten also bereits die Gewinner und Verlierer von morgen. Wir mussten lediglich unser Portfolio entsprechend ausrichten.
Die meisten Wertanalysen versagen, weil sie nicht über die simpelste Kurs-Gewinn-Formel hinausreichen. Was interessiert mich das? Das ist nutzlos. Was ich bei der Analyse eines Unternehmens wissen wollte, waren die Ergebnisse, die es in den letzten hundert Jahren erzielt hat, in welchem Bereich sich die Gewinne bewegten – hilft mir das, um den zukünftigen Aktienkurs zu bestimmen? Hilft es mir, den Punkt zu bestimmen, an dem ich in das Unternehmen investieren will? Dabei geht es ausschließlich um den Einstieg zum niedrigstmöglichen Kurs. Mein Ziel war, in diesem scheinbar endlosen analytischen Feld die seltenen Goldklümpchen zu finden, die mich reich machen würden.
Eine weitere radikal neue Investmentsoftware, die Kevin und ich entwickelten, basierte auf der einfachen Theorie, dass sich Unternehmens- und Marktbewertungen innerhalb relativ vorhersagbarer Bandbreiten bewegen. Zum Beispiel wurden Aktien am US-Markt in den vergangenen 50 Jahren zwischen dem Doppelten und dem Dreifachen des Wiederbeschaffungswerts gehandelt. Am deutschen Markt wurden Aktien beständig zwischen dem Zwei- und Fünffachen des Cashflows gehandelt und am britischen Markt üblicherweise bei einer Dividendenrendite zwischen drei und sieben Prozent. Wenn sich die Bewertungen den oberen und unteren Quintilen nähern, müssen Sie sich auf der Long- oder Short-Seite positionieren.
Ich hatte bei Fidelity ein solches Bewertungsmodell für die Schiffsindustrie entwickelt. Mitte der Achtzigerjahre wurden Reedereiaktien zum Zweifachen des Cashflows und zu 50 Prozent des Liquidationswertes gehandelt. Ihr historischer Bereich hatte zwischen dem 1,6- und 7-fachen Cashflow und zwischen dem 0,4- bis 1,7-fachen Liquidationswert gelegen. Nicht nur war der operative Cashflow sehr gering, der gesamte Sektor wurde auf einem historisch niedrigen Niveau mit einem hohen Abschlag auf den
Weitere Kostenlose Bücher