Kopfgeldjagd
Vergütungsgesprächen, die er zuvor stets selber oder zusammen mit D. geführt hatte, auffällig abwesend. Er hatte sich selbst und das Unternehmen in die Ecke geboxt und ließ mich für seine Fehler bezahlen.
JR und der Verwaltungsrat hatten eine ganz einfache Wette abgeschlossen: Im Zweifelsfall würde Florian seinen gesamten Bonus opfern, um das Team zusammenzuhalten. Ihre Begründung lautete, dass ich mit den Dividendenzahlungen und Aktienverkäufen reicher würde. Das sollte mir genügen. Und auf diese Weise würde der Verwaltungsrat nicht die idiotischen Vertragsgarantien überprüfen müssen, die sie den Argo-Aktionären gegeben hatten. Und schließlich gingen sie davon aus, dass ich auf keinen Fall auf eine Unternehmensbeteiligung im Wert von 200 Millionen Dollar verzichten würde.
Sie hatten allerdings eine falsche Rechnung aufgestellt. Der Anteil war bereits auf weniger als die Hälfte geschrumpft, weil ich 50 Millionen Dollar in die Fonds investiert und ungefähr die gleiche Summe an meine Exfrau gezahlt hatte. Ich war nicht mehr der dominante Aktionär wie zuvor. Warum sollte derjenige, der mehr als die Hälfte der Unternehmensgewinne generiert, seinen gesamten Bonus opfern, während die Verwaltungsratsmitglieder und die Topmanager sich selber Rekordboni auszahlten? Nun, sie täuschten sich und waren eine sehr dumme Wette auf Basis falscher Annahmen eingegangen. Mit multidimensionalen Wahrscheinlichkeitsszenarien zu arbeiten war noch nie JRs Stärke gewesen.
Ich wollte kein Teil dieses haarsträubenden Plans sein, mich ins Marketing drängen und diese unfähigen Jasager die Fonds managen zu lassen. Die erbärmliche Performance, die die ACMH-Hedgefonds nach meinem Ausstieg erzielten, sowie die Liquidation meiner gesamten Positionen bewiesen die Dummheit dieser unglückseligen Unternehmensstrategie, die hauptsächlich auf niedrige Kosten fokussierte. Die Renditen aller Fonds litten darunter.
JR und ich waren die Schlüssel für den Erfolg von ACMH, aber auch für sein Scheitern. Die kombinierte Energie zweier Energiebomben kann zunächst zwar herausragende Ergebnisse produzieren, aber am Ende zerstört sie sich selbst. Wie konnte irgendjemand annehmen, die Verbindung zwischen einem funktionalen Psychopathen und einem funktionalen Schizophrenen könnte langfristig Erfolg haben? Wie hätten wir angesichts unseres Mangels an Ethik und unseres teuflischen Wertesystems Probleme vermeiden können?
Ich hatte mich also von meiner gesamten Vergütung verabschiedet. Ich war immer noch sehr reich, aber jetzt stellten sich tiefer greifende Fragen. War ich dabei, mit meinem Geld Inkompetenz und morsche Fusionsstrukturen zu belohnen? Nein. Wollte ich für 10.000 Euro monatlich arbeiten? Vergiss es. Wollte ich weiterhin mit diesen Clowns zusammenarbeiten? Keine Chance. Gefiel mir meine Arbeit so gut, dass ich unter allen Umständen bleiben wollte? Ich hasste meinen Job. War mir meine Reputation wirklich wichtig? Nein. Hatte ich mir in meinem korrupten, berechnenden Wesen noch einen Rest professionellen Stolz bewahrt? Überraschenderweise ja. Das war noch etwas Grundlegenderes als die schnöde Jagd nach Geld. Hier ging es um Respekt. Hier ging es darum, dass mein zentraler Vermögenswert, immerhin war ich ein menschliches Wesen, als selbstverständlich hingenommen wurde, während ich gleichzeitig ständig untergraben und gemobbt wurde. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mir ständig Messer aus dem Rücken zu ziehen, um die Fonds effektiv managen zu können. Mein Berufsleben war zu einem sinnentleerten, undankbaren Spiel geworden. Ich wollte raus.
Nicht ein Händler, Analyst oder Manager dankte mir in irgendeiner Form für den freiwilligen Transfer von acht Millionen Euro. Alle hatten ihre vollen Boni erhalten. Alle wussten, dass das nur möglich war, weil ich meinen Bonus aus meiner Brieftasche in ihre Brieftaschen geleitet hatte. Nicht ein anderer Topmanager von ACMH hatte auch nur einen Cent geopfert, um fähige Mitarbeiter zu halten, wobei viele von ihnen ebenfalls erhebliche Unternehmensanteile hielten. Wer nicht versteht, warum ich damals so wütend war, sollte eine Karriere im Kinderhandel oder als Serienmörder anstreben. Dort wird er sich sehr wohlfühlen.
Ich bekam sogar Anrufe von einigen dieser Deppen, die sich beschwerten, die Vergütung sei ungerecht und müsse nachgebessert werden. »Und woher soll das Geld kommen?«, fragte ich mich. Konnten sie wirklich nicht begreifen, dass ich soeben meinen
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