Kopfloser Sommer - Roman
Garten geht irgendetwas vor sich, in der entferntesten Ecke, hinter der großen Weide! Ich muss an einen Elch denken, ich habe gelesen, dass sie von Schweden über den Sund schwimmen. Aber Elche sind groß und verstecken sich nicht hinter einem Baum.
Jacob schreit und strampelt, und Mutter reicht es jetzt: Sie setzt Jacob ab und geht zum Geräteschuppen. Ein ziemliches Spektakel ist zu hören, ich vermute, dass sie irgendetwas sucht. Als sie aus dem Schuppen kommt, hält sie einen Baseballschläger in der Hand. Sie lässt ihn seitwärts baumeln, geht in den Garten und verschwindet hinter ein paar Büschen. Wir bleiben allein auf der Terrasse.
Ich recke den Hals, um zu sehen, wohin sie verschwunden ist, kann aber nichts mehr erkennen. Ich stelle mir vor, wie Mutter zwischen den Bäumen und Büschen sucht, bereit, mit dem Baseballschläger zuzuschlagen. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht so genau, was sie eigentlich sucht. Und noch schwerer fällt mir die Vorstellung, wie sie dann zuschlägt.
»Was will sie mit dem Schläger?«, flüstert Jacob.
»Sich verteidigen. Wenn es notwendig wird.«
»Das wird es bestimmt. Bringt sie ihn um?«
Bevor ich mir eine Antwort überlegen kann, fragt er nach Vater. Ich zische ihm zu, dass er still sein soll, und versuche ihm zu erklären, dass Mutter diese Fragen nicht mag. Eine Mutter kann sich um ihre Kinder kümmern, jedenfalls unsere Mutter, da kann er ganz beruhigt sein. Das Problem ist nur, dass ich selbst nicht sonderlich ruhig bin. Ich habe das Gefühl, dass viel zu viel Zeit vergangen ist, seit uns Mutter auf der Terrasse allein gelassen hat. Ich friere, obwohl es gar nicht kalt ist. Irgendwo muss Mutter doch sein.
»Wollen wir in den Garten gehen und sie suchen, Emilie?«
Ich schüttele den Kopf, wir könnten uns verlieren. Er stellt sich hinter mich und schlingt die Arme um meinen Bauch. So würde er auch Mutter umarmen, wenn sie hier wäre. Wieso musste Mutter auch ein Haus mit solch einem Garten kaufen? Man kann sich leicht darin verlaufen, denn die Büsche durften sich hier ungehindert ausbreiten, so dass man kaum sehen kann, wo der eine anfängt und der andere aufhört. So hat ein Garten nicht auszusehen, und tatsächlich ist er mit den anderen Gärten an der Straße auch nicht zu vergleichen. Außerdem ist er viel zu groß. Eigentlich sind es zwei Grundstücke, die zusammengelegt wurden, aber es gibt nur ein Haus, unseres. Auf dem anderen Grundstück hat irgendwann auch mal ein Haus gestanden, aber es ist abgebrannt. Die Brandstätte ist noch zu sehen, allerdings ist sie fast völlig mit Unkraut überwuchert. Die beiden Gärten stoßen an einen kleinen Wald. Hinter dem Wald ist der Strand, und auf der anderen Seite des Wassers liegt Schweden. Aber eigentlich habe ich das Gefühl, dass hier alles irgendwie falsch ist: der Garten, der Wald, der Strand und Schweden.
Jetzt endlich passiert etwas, Mutters Stimme ist zu hören ‒ und es klingt, als würde sie zuschlagen. Jacob klammert sich an mich, er zittert am ganzen Körper und fängt an zu weinen. Ich versuche, gefasst zu erscheinen, doch als ich Mutter rufe, bin auch ich den Tränen nahe. Vielleicht sollten wir ins Haus gehen, sorgfältig die Tür abschließen und um Hilfe telefonieren? Ich schreie so laut ich kann, dass ich die Polizei anrufen werde. Dann ist es wieder ruhig, viel zu ruhig. Soll ich in den Garten gehen? Es könnte gefährlich sein. Wenn jemand Mutter etwas angetan hat, könnte dieser Jemand auch auf mich losgehen.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und halte es drohendin die Luft. An ein paar Büschen bewegen sich Zweige, wir hören ein Stöhnen und Schnauben. Jetzt kommt uns jemand entgegen. Ich drücke völlig idiotisch und planlos die Tastatur, in der Hoffnung, das Monster dadurch abzuschrecken. Schließlich erkennen wir Mutters Silhouette, sie ist am Leben. Ich bin so erleichtert, dass mir die Tränen laufen. Jacob lässt mich los. Doch Mutter zieht irgendetwas hinter sich her, etwas Schweres. Sie schleppt es über den Rasen, und ich kann nicht erkennen, was es ist. Dann bleibt sie stehen und winkt mich zu sich.
Ich wische die Tränen ab und nähere mich vorsichtig, obwohl es mir überhaupt nicht gefällt. Was liegt dort vor ihr im Gras? Es sieht aus wie ein Mensch. Ich bin nun so nahe dran, dass ich es erkennen kann. Ein junger Mann. Ich bücke mich und hoffe, dass er nicht tot ist. Gott sei Dank, er atmet, aber er blutet auch an der Stirn.
»Scheiße, Mama, was hat du
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