Kopfloser Sommer - Roman
getan?«
Mutter gibt sofort zu, dass die Sache nicht besonders gut gelaufen ist. Sie macht sich große Vorwürfe, bittet mich aber, einen Arm des jungen Mannes zu nehmen. Sie fasst nach dem anderen und gemeinsam ziehen wie ihn ins Licht der Terrasse. Wir wollen sehen, wie schlimm es um ihn steht. Mutter rüttelt an seiner Schulter, aber er reagiert nicht. Ich lege eine Hand an seine Wange, sie fühlt sich kalt an. Hoffentlich ist es nichts Ernstes. Er blutet aus einem Riss an der Augenbraue, an der Stirn zeigt sich ein roter Erguss. Wie konnte sie nur so hart zuschlagen, und dann noch an den Kopf? Er könnte Anfang zwanzig sein und hat ein hübsches Gesicht, aber seine Hände sind überraschend groß und grob. Abgesehen davon wirkt er ein bisschen abgerissen, seine Sachen sind irgendwie zu groß, und im pechschwarzen Haar haben sich Äste und Blätter verfangen. Er sieht aus wie jemand, der sich im Wald verlaufen hat und dort übernachten musste.
»Besser, wir rufen einen Krankenwagen«, sagt Mutter. Mein Handy liegt noch auf dem Rasen, und ich habe Sorge, dass ich in meiner Verwirrung Vaters Nummer gewählt habe. Doch als ich es aufhebe, sehe ich, dass es überhaupt nicht eingeschaltet ist.
In diesem Moment kommt der junge Mann zu sich. Er setzt sich auf und sieht sich verwirrt um.
»Entschuldigung.«
Das hatte ich jetzt nicht erwartet. Mutter ist ebenso überrascht wie ich. Sie entschuldigt sich ebenfalls, es sei ihr Fehler gewesen. Aber davon kann seiner Ansicht nach keine Rede sein, er hätte hier schließlich nichts zu suchen. Und ein Krankenwagen sei wirklich nicht nötig.
»Ich werde gehen, nur ruhig.«
Er versucht aufzustehen, ist aber noch unsicher auf den Beinen. Mutter greift ihm unter die Arme, stützt ihn.
»Was hast du da hinter dem Baum gemacht? Was waren das für Geräusche?«
Er überhört ihre Frage und schaut mit einem traurigen, verlorenen Blick in den Garten. Als blicke er auf ein verlorenes Paradies. Dann klopft er sich den Staub und die Blätter ab und verabschiedet sich. Noch immer steht er nicht ganz sicher auf den Beinen, aber Mutter unternimmt nichts, um ihn aufzuhalten. Sie scheint geradezu glücklich zu sein, ihn wieder loswerden. Eigentlich ziemlich heftig; ich finde, das kann man nicht machen. Mal ehrlich, vor ein paar Minuten hat sie ihm einen Baseballschläger an den Kopf geschlagen. Sie hätte ihn umbringen können.
»Ich glaube, du musst dich noch mal hinsetzen. Du könntest eine Gehirnerschütterung haben.«
Er sieht mich misstrauisch an, und zum ersten Mal bemerke ich seine dunkelbraunen, hervorstehenden Augen. Dannlächelt er, geht ohne Hilfe auf die Terrasse und lässt sich in einen Korbsessel fallen. Allerdings hält es ihn nicht lange in dem Sessel.
»Darf ich mal das Badezimmer benutzen?«, erkundigt er sich.
Selbstverständlich, wir hätten es ihm sofort anbieten müssen. Er blutet ja noch immer aus der Augenbraue, außerdem muss die Wunde gereinigt werden. Als Mutter ihm erklären will, wo er hin muss, ist er bereits im Wohnzimmer. Ich folge ihm, um ihm den Weg zu zeigen, doch das ist offenbar nicht nötig. Er geht schnurstracks die Treppe hinauf in den ersten Stock und öffnet die erste Tür links: Dort ist das Badezimmer.
2
Auf der Terrasse fragt Jacob Mutter nach dem Drama im Garten aus. Sie spricht mit gedämpfter Stimme und ist nicht sonderlich stolz auf ihre Tat. Jacobs Augen hingegen leuchten respektvoll: »Hast du deine ganze Kraft in den Schlag gelegt, Mama? Hast du auf die Augen gezielt?«
»Nein, was denkst du denn von mir? Na ja, ich hatte Angst. Ich habe gehört, dass da etwas war, aber ich konnte nichts sehen. Dann richtete sich plötzlich etwas auf und kam auf mich zu, ohne einen Ton zu sagen. Ganz zusammengekrümmt, es hätte ebenso gut ein Tier sein können.«
»Und dann hast du zugeschlagen! Wie oft, Mama? Hast du auch noch geschlagen, als er schon bewußtlos war?«
Mutter protestiert und schüttelt den Kopf. Ich muss lachen, was denkt er sich eigentlich? So ist unsere Mutter nun wirklich nicht. Offenbar hat Jacob zu viele Zeichentrickfilme gesehen.
»Ich habe nur einmal zugeschlagen«, erklärt sie. »Und das war einmal zu viel. Ich fühlte mich bedroht und habe Panik bekommen. Gott sei Dank ist nichts passiert, jedenfalls nichts Ernstes. Und bald wird er wieder nach Hause gehen. Dann ist diese Geschichte vorbei.«
Sie hat ein schlechtes Gewissen, da bin ich sicher. Aber sie scheint auch erleichtert zu sein, da es vermutlich keine
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