Kosakensklavin
Honig und verschiedene Früchte türmten sich auf den Tellern, dazu gab es frischen Kwass und Wein. Als Sonja eintrat, blieb Sergej vor Verblüffung fast der Bissen im Hals stecken, während Baranow sich erhob und mit einem Lächeln, das galant wirken sollte, auf sie zuging. Von der Wirkung des Schlags auf den Kopf war nichts zu bemerken, denn er trug eine Perücke.
„Wir sind sehr froh, Euch zu sehen, meine liebe Sonja Alexejewna“, sagte er mit höfischem Mienenspiel. „Wie ich sehe, seid Ihr vollständig wieder hergestellt und bezaubernder denn je. Macht uns die Freude und setzt Euch zu uns an den Tisch.“
Er stellte ihr einen Stuhl zurecht und Sonja, die vor Angst und Widerwillen am liebsten davongelaufen wäre, blieb nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Voller Abscheu spürte sie seine neugierigen Blicke, die die Form ihrer Beine erkundeten, und sie erschauerte. Was glotzte er noch? Er hatte ihren Körper völlig nackt gesehen, was wollte er mehr?
„Gestattet mir die Bemerkung“, meldete sich nun der Offizier zu Wort, der sie lächelnd betrachtet hatte. „Diese Kleidung steht Euch ausgezeichnet. Wüsste ich nicht, dass es nur eine Tarnung ist, so würde ich Euch vorschlagen, sich bei der Garde zu melden.“
Sonja war wenig glücklich über diesen Scherz, doch Baranow fand ihn so großartig, dass er sich vor Lachen auf die Schenkel klopfte. Sergej zog eine säuerliche Miene - Baranow hatte ihm nichts von dieser Verkleidung gesagt, was ihn ärgerte.
„Auf jeden Fall können Sie sich von nun an vollkommen sicher fühlen“, fuhr der Offizier fort, der von Sonjas jugendlicher Erscheinung, trotz - oder vielleicht sogar gerade wegen - der Verkleidung gefesselt war.
Sonja zwang sich, ihre Aufregung nicht merken zu lassen. Baranows hinterhältige Lügen, seine plötzliche Galanterie, die - wie sie sehr gut wusste -nichts als eine Maske war, ließen sie vor Zorn erröten. Zugleich spürte sie eine schreckliche Furcht vor der langen Fahrt in der engen Kutsche, wo sie seinen heißen Atem spüren würde und seinen lüsternen Blicken ausgeliefert war. Ihr war inzwischen klar, dass er längst in der Kutsche über sie hergefallen wäre, wenn nicht ihr Bruder sie auf der Reise begleitet hätte.
„Diese verdammten Kosaken schwärmen leider in der Gegend herum“, plauderte der Offizier und betastete mit einer Hand seinen Kinnbart, um ihn zu glätten. „Bilden sich ein, gegen Mütterchen Zarin eine Revolte machen zu können. Aber sie werden staunen, die Söhnchen, wenn Mütterchen Zarin erst mit ihnen Ernst macht. Wir werden sie hinüber nach Sibirien jagen - dort können sie bleiben und zu Eis gefrieren.“
Sonja nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf. Man hatte am Hof der Zarin nur hinter vorgehaltener Hand von solch scheußlichen Dingen wie Aufständen, Bauern oder wilden Kosaken geredet. Sie ritten wie hundert Teufel und fochten wie die Berserker, hatte man erzählt. Krummbeinig seien sie wie die Tataren, die schon auf dem Rücken ihrer Pferde zur Welt kamen, und genau so furchtlos und grausam. Sie lebten in Dörfern zusammen, ließen sich von Mütterchen Zarin nicht regieren und raubten sich Frauen, wo immer sie ihrer habhaft werden konnten. Das Schicksal einer Frau, die in ihre Hände fiel, war schlimmer als der Tod.
Dennoch - der Mann, der ihr gestern Abend für wenige Sekunden gegenüberstand, hatte sie vor Baranows Willkür gerettet. Sicher hatte er das nicht um ihretwillen getan - er hatte sich selbst aus einer fast aussichtslosen Lage befreit und war geflohen. „Wir sollten jetzt aufbrechen, Ossip Arkadjewitsch“, meinte der Offizier. „Es wäre mir nicht recht, wenn wir in die Dunkelheit kämen.“
Sonja hatte nur einen Schluck Wein getrunken - essen konnte sie nichts. Sie erhob sich steif und ungeschickt und fand es merkwürdig, dass der Offizier ihr seinen Arm bot. Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob sie sich ihm vielleicht anvertrauen könnte, ihn um Hilfe bitten. Doch sie verwarf den Gedanken -warum hätte er ihr glauben sollen? Und selbst, wenn er ihren Worten vertraut hätte - Baranows Einfluss bei Hofe war so groß, dass er auch diesen Mann ohne größere Mühe vernichten konnte. Sie war ganz und gar auf sich allein gestellt.
Im Hof draußen herrschte ein wildes Durcheinander. Hunde kläfften, der Verwalter Sarogin eilte hierhin und dorthin, um die Angestellten anzutreiben, Soldaten bestiegen ihre Pferde, und der Kutscher überwachte das Aufladen der letzten
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