Kosakensklavin
begreife ich auch, weshalb die Babuschka krank ist“, sagte sie dumpf. „Sie weiß, dass er sich ins Verderben stürzen will, und niemand kann ihn davon abhalten.“
„Mein Bruder war schon immer ein Sturkopf. Auch unser Vater konnte ihn damals nicht davon abhalten, gegen die Zarin zu reiten. Er tut immer das, was er für richtig hält.“
Sie umarmte Sonja mitleidig und drückte sie an sich.
„Seine Freiheit. Seine Ehre“, schluchzte Sonja. „Ich bin ihm ganz egal. Ich darf ihm nicht einmal helfen. Und ich habe fast schon geglaubt, dass er mich liebt.“ „Aber er liebt dich, Sonja. Er liebt dich so sehr, dass er lieber sich selbst ausliefert, als dich an Baranow zurückzugeben.“
„Wovon redest du?“, fragte Sonja ärgerlich. „Er will seinen Vater retten, deshalb liefert er sich an die Zarin aus.“
Tanja schob sie ein Stück von sich weg und sah ihr aufmerksam ins Gesicht. „Das sieht ihm ähnlich“, meinte sie kopfschüttelnd. „Er hat dir also nur die halbe Wahrheit erzählt.“
„Die halbe Wahrheit? Und was ist die ganze?“
Tanja berichtete in kurzen Worten von Baranows Angebot, das Andrej stolz abgelehnt hatte. Sonja riss die Augen auf und brachte vor Verblüffung kein Wort über die Lippen.
„Für keine andere Frau hätte er das getan, Sonja. Ich kenne meinen Bruder.“ „Aber Baranow hat große Macht am Zarenhof“, stammelte Sonja. „Er hat überall seine Fäden gezogen, sogar wichtige Minister sind ihm verpflichtet. Er hätte die Freilassung eures Vaters erreichen können.“
„Andrej wollte es nicht. Nicht um diesen Preis!“
Sonja sank in sich zusammen. War er nun ein Held oder ein Verrückter? Liebte er sie oder war er nur nicht bereit, sie Baranow zu geben? Sie konnte es nicht entscheiden.
„Dann ist mir jetzt auch klar, weshalb die Babuschka zornig auf mich ist“, sagte sie beklommen. „Und auch du, Tanja .“
„Nein“, sagte Tanja und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Du wusstest ja nichts davon. Andrej hat uns streng verboten, dir davon zu erzählen. Deshalb durftest du auch nicht auf das Fest gehen, denn dort hättest du es erfahren können.“
„Ich verstehe .“
Sonja schwieg und sah mit starrem Blick vor sich hin. Er regelte alles, wollte sie besitzen, über ihr Schicksal bestimmen, sich für sie opfern - sie wurde nicht gefragt, hatte sich zu fügen.
„Was wirst du tun?“, fragte Tanja leise.
Sonja straffte sich. „Ich reite noch in der Nacht los, Tanja. Ich lasse nicht zu, dass er in sein Unglück rennt.“
Tanjas dunkle Augen leuchteten. Sie packte Sonja und riss sie an sich.
„Das habe ich gewusst“, frohlockte sie und wirbelte sie im Kreis herum. „Ich werde alles vorbereiten und die Pferde satteln.“
„Die Pferde? Ich brauche nur eines .“
„Und ich das andere.“
Kapitel 29
Andrej kam am frühen Abend zurück. Sein erster Weg führte zu der Kranken, und er war mehr als glücklich, als er sah, dass die Babuschka auf ihrem Lager saß und Tee trank.
„Es geht ihr ein wenig besser“, sagte Tanja. „Das Fieber ist gesunken.“
Er kniete neben der alten Frau nieder und umarmte sie.
„Was sorgst du dich?“, murmelte er. „Alles wird gut!“
Die Babuschka schwieg, ihre Augen wanderten zu Tanja hinüber, die sich den Finger auf die Lippen legte.
„Gott gebe es, Andrjuscha“, sagte die Alte.
Er küsste ihre Hände und stieg die Treppe hinauf. Sonja erwartete ihn im Schlafzimmer. Sie trug den hellblauen Sarafan und lächelte ihm entgegen. Er war erleichtert, denn er hatte gefürchtet, Tränen trocknen oder gar streiten zu müssen.
„Du hast dich besonnen?“
„Jeder von uns muss seinem Weg folgen, Kosak. Auch du.“
Er zog sie in seine Arme und küsste dankbar die Vertiefung ihrer Halsgrube.
„Du bist klug, lass uns aufbrechen. Ich will dafür sorgen, dass du mich nicht vergisst.“
Ihr Herz schlug heftig, als sie mit ihm die enge Stiege hinunterging, und sie kam sich wie eine Betrügerin vor. Tanja saß in der Küche bei der Babuschka, fütterte sie mit Kascha und nickte Sonja unmerklich zu. Unter der Bank war ein lederner Beutel versteckt, der Brot, Piroggen und Käse enthielt. Die Babuschka selbst hatte Tanja angewiesen, welche Lebensmittel sie für den tagelangen Ritt mitnehmen sollte.
Andrej hatte die Stute gesattelt, er ließ Sonja aufsteigen und setzte sich hinter sie. Mit kräftigem Schenkeldruck trieb er das Tier zum Dorf hinaus, ließ es flussabwärts traben und hielt Sonja dabei mit beiden Armen
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