Kosmologie für Fußgänger
Gesamtmasse ausmacht. Schließlich bleibt bei diesem Modell auch ungeklärt, auf welche Weise das Erde-Mond-System seinen hohen Drehimpuls erhalten haben könnte.
Die dritte Theorie beruht auf der Idee, der Mond könnte doch ein ehemaliger Asteroid oder verirrter Kleinplanet gewesen sein, welcher, der Erde zu nahe gekommen, von ihr eingefangen wurde. Für diese so genannte Einfanghypothese sprechen das im Sonnensystem ungewöhnliche Massenverhältnis Erde-Mond und der Mangel an relativ flüchtigen, niedrig schmelzenden Elementen. Letzteres könnte darauf hindeuten, dass der Mond an einem anderen Ort als die Erde entstanden sein muss, und zwar näher an der Sonne. Dass das Einfangen eines so massereichen Körpers nicht unmöglich ist, wurde mittlerweile auch durch umfangreiche Computersimulationen bestätigt. Jedoch ist es ein Riesenproblem für derartige Rechnungen, vernünftige Anfangsbedingungen zu definieren. Der Mond durfte nämlich nicht zu schnell gewesen sein, sonst wäre er von der Erde nicht eingefangen worden. Insbesondere aber bleibt im Dunkeln, wie es zu einer so starken Abbremsung des Asteroiden kommen konnte, damit ein Einfangen überhaupt möglich wurde.
Mittlerweile findet jedoch eine vierte Hypothese immer mehr Anhänger unter den Mondforschern, den Selenologen. Dieser Theorie zufolge ist der Mond das Ergebnis eines gigantischen kosmischen Unfalls. Demnach soll die Protoerde vor etwa viereinhalb Milliarden Jahren mit einem etwa zwei- bis dreimal so großen Körper wie der Mars mit einer Geschwindigkeit von etwa 36 000 Stundenkilometern kollidiert sein. Bei diesem Zusammenprall, der nicht frontal, sondern eher streifend abgelaufen sein muss, wurden große Teile der Erdkruste und des Einschlagkörpers in den Raum geschleudert. Ein Teil des Materials fiel wieder auf die Erde zurück, ein Großteil jedoch schwenkte ein in eine Umlaufbahn um die Erde und sammelte sich in einem Ring um unseren Planeten. In weniger als 10 000 Jahren verdichtete sich dieses Material dann zum Mond, der fortan in einem Abstand von rund zehn Erdradien, also 60 000 Kilometern, die Erde umkreiste. Was die ehemals geringe Entfernung des Mondes auf der Erde bewirkte und warum der Mond heute viel weiter von der Erde entfernt ist, darauf kommen wir noch zu sprechen.
Für diese Impakthypothese spricht vor allem die festgestellte Verarmung des Mondmaterials an Eisen, Nickel und Kobalt. Wenn man bedenkt, dass die schweren Elemente vornehmlich im Erdinneren konzentriert sind, bei dem Zusammenprall aber hauptsächlich Material aus dem an diesen Elementen armen Erdmantel abgerissen wurde, erscheint dieser Befund ziemlich plausibel. Verständlich wird auch die Diskrepanz, wonach einerseits große Ähnlichkeit besteht zwischen Mondgestein und den Gesteinen der Erdkruste, andererseits aber auch deutliche chemische Unterschiede festzustellen sind. So lässt sich belegen, dass sich der Mond bei einer derartigen Kollision nur zu einem geringen Teil von etwa 10 bis 20 Prozent aus Material der Erde gebildet haben kann. Der weitaus größere Anteil müsste vom Kollisionspartner stammen, sodass der Mond mehrheitlich die chemische Zusammensetzung des Impaktkörpers widerspiegeln sollte. Andererseits dürfte die Erdkruste jedoch nur geringfügig mit dem Material des Aufprallkörpers verunreinigt worden sein. Schließlich lassen sich mit der Theorie des streifenden Aufpralls noch zwei weitere Phänomene erklären: nämlich der hohe Drehimpuls, der bei der Kollision sozusagen schlagartig übertragen worden wäre, und die Schrägstellung der Erdachse. Und um die Sache abzurunden, sei erwähnt, dass es Wissenschaftlern der Universität Bern erst vor kurzem gelungen ist, den gesamten Vorgang – vom Einschlag bis zur Akkretion des Mondes – mit einem leistungsfähigen Parallelrechner zu simulieren. Obwohl das nicht unbedingt als letzter Beweis für die Gültigkeit der Impakttheorie gewertet werden darf, denn wie bereits geschildert, kann man bei geeigneter Wahl der Anfangsbedingungen auch das Einfangen des Mondes gut simulieren, ist es doch eine starke Stütze der Theorie.
Ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt der Aufpralltheorie ist die absolute Zufälligkeit dieses Ereignisses. Die Erde und der kosmische Vagabund müssen im entscheidenden Augenblick am richtigen Ort gewesen und dort mit der richtigen Geschwindigkeit unter dem richtigen Winkel aufeinander getroffen sein. Bedenkt man die Ausdehnung des Sonnensystems und die Bahngeschwindigkeiten der
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