Kosmologie für Fußgänger
bleiben wird. Was also bringt die Zukunft? Ist unser Sonnensystem nur eine von vielen möglichen stabilen Konfigurationen, oder ist dieses »Karussell« auf Grund seiner Stabilität das einzig Mögliche mit konstanter Präzision? Eine Antwort hierauf ist schwer zu geben. Vor allem deswegen, weil wir in Anbetracht des Alters unseres Sonnensystems von etwa 4,5 Milliarden Jahren nur auf Beobachtungen zurückgreifen können, die günstigstenfalls einige tausend Jahre zurückliegen. Innerhalb dieser knappen
Zeitspanne konnten die Astronomen aber keine Veränderungen in der Harmonie des Sonnensystems erkennen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass das nicht immer so gewesen ist, und vor allem, dass das nicht immer so bleiben muss.
Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass die gegenwärtige Harmonie einmal in blankes Chaos umschlagen kann. Einige Beispiele dafür lassen sich schon heute im Sonnensystem finden. Hyperion, ein erdnussförmiger Mond des Saturn, ist so ein wankelmütiger Kandidat. Obwohl er auf einer stabilen Bahn seinen Planeten umläuft, torkelt er dabei gewaltig wie ein betrunkener Zecher. Seine Rotationsachse wechselt laufend ihre Richtung. Einmal dreht er sich um seine lange, dann wieder um seine kurze Achse, und gelegentlich scheint er gar ganz still zu stehen. Es ist unmöglich, seine Position im Raum über längere Zeit vorherzubestimmen. Die Ursache für dieses ungehörige Benehmen sehen die Astronomen in seiner elliptischen Bahn um den Saturn, die Hyperion immer wieder in die Nähe des großen Saturnmondes Titan manövriert und ihn dessen Gravitationskräften aussetzt.
Ähnlich, aber nicht ganz so dramatisch verhält es sich auch mit dem Erdmond. Bis heute ist es nicht gelungen, die Mondbahn exakt zu berechnen. Gäbe es nur die Erde und den Mond, so wäre das kein Problem. In einer solchen Zweikörperkonstellation lassen sich mithilfe der Kepler’schen Gesetze die Bewegungen der beiden Partner aufgrund der gegenseitigen Anziehungskräfte genau ermitteln. Die hierzu aufzustellenden Gleichungen kann man lösen. Tritt jedoch ein dritter Körper hinzu, zum Beispiel die Sonne, so geht das schon nicht mehr. Jetzt wird die Bewegung des Mondes von der Anziehungskraft zweier Körper beeinflusst, die ihrerseits wiederum unter dem Einfluss der jeweils beiden anderen Körper stehen. Eine exakte Lösung der Bewegungsgleichungen für diese drei Körper ist nicht mehr möglich. Allerdings sind einige Spezialfälle bekannt, für die es eine exakte Lösung des Dreikörperproblems gibt, nämlich dann, wenn sich einer der drei Körper an einem Punkt befindet, wo sich die von den beiden anderen Körpern ausgeübten Anziehungskräfte und die Zentrifugalkräfte genau die Waage halten. Zu Ehren des Mathematikers Joseph Louis de Lagrange, dem diese Lösungen als Erstem geglückt sind, bezeichnet man solche Punkte auch als Lagrange-Punkte.
Doch was kann man tun, wenn eine exakte Lösung nicht möglich ist? Man kann zunächst die Sonne vernachlässigen und ihren Einfluss auf die Bewegung von Erde und Mond als eine Störung des Zweikörperproblems betrachten. Das liefert aber nur eine Bahnvorhersage über einen relativ kurzen Zeitraum, da ja das Ausmaß der Störung nicht konstant bleibt, sondern sich aufgrund der Einflüsse der beiden anderen Partner ebenfalls ändert. Das wird noch um ein Vielfaches schlimmer, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ja auf den Mond nicht nur die Gravitationskräfte von Sonne und Erde einwirken, sondern auch die aller anderen Planeten, Monde, Kometen und Asteroiden im Sonnensystem, im Prinzip sogar aller Massen im Universum. Natürlich können diese Einflüsse aufgrund der großen Entfernung dieser Körper beliebig klein ausfallen, aber niemals völlig verschwinden. Es ist jedoch unmöglich, die gegenseitigen Auswirkungen der Gravitation all dieser Körper bei der Berechnung der Bahn zu berücksichtigen. Dass nach wie vor alles »rund« läuft, ist lediglich dem Umstand zu verdanken, dass sich die meisten Störungen eben nur verschwindend gering auswirken. Theoretisch können sich aber Störungen so aufsummieren, dass sie letztlich doch eine kleine Verzerrung der ursprünglich stabilen Bahn eines Planeten hervorrufen und ihn somit geringfügig näher in den Anziehungsbereich eines anderen kosmischen Körpers rücken. Die Bahn des Planeten wird auf diese Weise mehr und mehr deformiert. Schließlich kann es sogar zum Zusammenstoß mit einem anderen Planeten kommen, oder die Kräfte wachsen
Weitere Kostenlose Bücher