Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
wie glatter Alabaster, und da waren sie wieder, die Sommersprossen auf meiner Nase, eine ganze Traube dieser winzigen goldbraunen Pünktchen, die nach meinem dreißigsten Lebensjahr verblasst waren. Ich hatte sie vergessen ... die ersten Worte, die Marc zu mir gesagt hatte, bevor er uns die zweite Runde anbot, ja, sogar noch bevor ich ihm Bonjour gesagt hatte: »J'adore tes taches de rousseur.«
»Du magst meine Sommersprossen?« Ich hatte gelacht, damals jedoch nicht den Mut gehabt, ihm zu sagen, dass Sommersprossen in meiner Heimat Australien nichts Besonderes waren.
Ich strich mir mit den Fingern durchs Haar, suchte nach dem schmalen Streifen links an der Stirn, wo es vor kurzem grau geworden war - »Zorros Silberschlag«, wie Charlie die Strähne nannte. Sie war verschwunden. Das Mädchen im Spiegel sah so jung aus, diese junge Frau aus meiner Vergangenheit in ihrem komischen Aufzug ... dem taillierten schwarzen Samtjäckchen mit den Knöpfen aus falschen Diamanten, das ich eines Sonntags auf dem Flohmarkt an der Porte de Bagnolet erstanden hatte. In diesem Moment wurde mir klar, dass alles wie damals war, ganz genauso. Doch, sogar die Jeans, die ich trug - eine ausgeblichene blaue Levis 501, die einzige Jeans, die man in Paris anziehen konnte, wie Beattie und ich stets behaupteten. Bis hinunter zu den Schuhen, die wie Schraubzwingen an meinen Füßen klemmten und mir inzwischen große Schmerzen bereiteten: schwarze Stilettos, gefährlich hoch und spitz, solche, wie meine Mutter sie niemals gutgeheißen hätte. Ich hatte sie erst an diesem Tag mit Beattie zusammen gekauft. Heute! Wir waren in den Galeries Lafayette shoppen gewesen.
»Da sind sie!«, hatte Beattie ausgerufen, als wir von der Rolltreppe kamen. »Die passen zu deiner Prinzessinnenjacke.«
Aber erst als ich nach unten griff, um die Knöchelriemchen zurechtzuschieben, und mich dabei mit einer Hand auf dem Bauch zur Seite neigte, fiel mir noch etwas auf: das runde Bäuchlein fehlte, das nach Charlies Geburt nie mehr vollkommen verschwunden war; mein Bauch war wieder ganz flach und hart wie ein Waschbrett. Dabei hielt ich nicht mal die Luft an.
Auch Marc spürte offenbar diese einstweilige Ruhe. Im Gegensatz zu mir hatte er seinen Cognac runtergekippt, als gäbe es kein Morgen. Vielleicht gab es ja tatsächlich keine Zukunft. Seine Augen waren glasig, als er mich jetzt anschaute. »Tu es si belle.«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, von meiner Schönheit wollte ich im Augenblick nichts hören. Außerdem war ich mir nicht sicher, was ich von der Absicht hinter dem Kompliment halten sollte. Ich griff über den Tisch und nahm seine Hand.
»Du musst mir von dem Polizisten erzählen - was er gesagt hat, Marc, was er zu Charlie gesagt hat.«
Doch er wandte sich ab und starrte wieder auf die Straße hinaus. Mein Herz klopfte rascher, es wehrte sich gegen den Cognac.
»Es ging um uns, oder?«
Marc schüttelte den Kopf und fing an, in sich hineinzulachen, leise, matt - dieses Lachen, das ihn überkommt, wenn er ein bisschen zu viel getrunken hat. Die Kellnerin kehrte hinter den Tresen zurück, wobei sie uns einen ärgerlichen Blick zuwarf. Ich spürte, wie Marc unter dem Tisch mit den Knien wippte, als er ihr zuwinkte. »Un café, s'ilvous plait.«
Er hielt mich hin. »Marc?«
Und er wollte mich nicht anschauen. »Il a dit que nous étions ...«
»Er hat gesagt, wir wären was?« Warum wollte er mich denn nicht ansehen? Aber dann blickte er mir direkt in die Augen.
»Que nous étions morts.«
Ich hörte das Glas zersplittern, doch erst als die Kellnerin auf uns zustürzte und laut fluchend die Scherben in ihre Schürze sammelte, erfasste ich, was ich getan hatte. Ihr Dekolleté schwebte über uns.
»Tot? Er hat gesagt, wir sind tot !«
Meine erhobene Stimme hatte auch die Aufmerksamkeit des Alten geweckt, der nun schwer mit der Hand auf den Tresen schlug. »Hé ho!« Wir hatten ihn offenbar aus seinen Träumen aufgeschreckt. »Du calme!«
Ich packte Marcs Hand so fest, dass er zurückzuckte. Vor Tränen konnte ich nur noch verschwommen sehen. Doch der Schrecken in Charlies Gesicht und sein Zittern unter der Hand des Polizisten standen mir noch deutlich vor Augen. »Aber warum hat er das denn gesagt, Marc? Warum sollte er Charlie so etwas erzählen?«
»Tu ne te rappelles pas, Annie?«
»Erinnern? An was denn?«
Immer, wenn Charlie diesen ganz speziellen Legostein verlor, den winzigsten Stein, den er unbedingt sofort haben musste, noch in
Weitere Kostenlose Bücher