Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
»Merde, ich hoffe, dass du was bei dir hast!«
»Ja, selbstverständlich, Marc.« Ich lächelte ihn an. »Darauf wollte ich ja hinaus. Weißt du nicht mehr, dass du mich zum Kaffee eingeladen hattest und dann festgestellt hast, dass du dein ganzes Geld im Kitty ausgegeben hattest?«
»Oui, mais: Das war keine Absicht, Annie.« Mir war fast, als hörte ich Charlie reden. »Und warum fängst du jetzt davon an, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt?«
Ich griff über den Tisch nach seiner Hand und schaute ihm in die Augen. »Kapierst du denn nicht, Marc? Alles ist genau so, wie es damals war - ganz genau so wie früher! Tu vois?«
Er schüttelte den Kopf. »Non, Annie, ich kapiere überhaupt nichts.«
Einen Moment lang saßen wir beide schweigend da. Niedergeschlagen blickten wir aus dem Fenster, auf dieselbe Straße wie damals. Da entdeckte ich auf einmal das Auto, Marcs kleinen weißen Kastenwagen. Er stand auf der anderen Straßenseite, wo Marc damals auch geparkt hatte. Während unserer verzweifelten Suche hatten wir direkt neben dem Wagen gestanden, bevor wir über die Straße zum Café gegangen waren. Wir hatten zwar geguckt, aber nichts gesehen.
Ich schob meinen Stuhl zurück und legte drei Zehnfrancstücke auf den Tisch. »Komm! Lass uns zu dir nach Hause fahren.«
»Oui.« Zerstreut spielte Marc mit einer der Münzen. »Das sind ja noch Francs. Keine Euros.«
Ja. Dabei hatte ich mich gerade erst an diese komischen, kleinen, neuen Kupfermünzen gewöhnt, die Ein- und Zweicentstücke, die mir zum ersten Mal deutlich gemacht hatten, dass ich auf die vierzig zuging und eine Lesebrille brauchte.
8
L e problème c'est«, begann Marc langsam, während er sich in den Verkehr Richtung Champs-Elysées einfädelte, um nordwärts zu seiner alten Wohnung zu fahren, »wenn wir zu mir fahren, dann kommt alles ganz bestimmt anders.«
Ich betrachtete sein Profil, diese vollkommene, ebenmäßige Silhouette, die wie ein Scherenschnitt wirkte. Die kräftige, gerade Nasenpartie und das markante Kinn rührten etwas längst Vergessenes in mir an. Seine Züge waren so streng, und doch war er wieder so jung, dieser Mann, den ich geliebt hatte.
Schon ragte der gewaltige Triumphbogen am Ende der Champs-Elysées über uns auf. Marc steuerte den Wagen in das Chaos des Kreisverkehrs hinein. Wie Wespen schwirrten die Fahrzeuge zu Füßen des riesigen Bauwerks in der Runde. Es stimmte, an dem Tag, als wir uns kennenlernten, hatte Marc mich zu meiner Wohnung an der Porte de Bagnolet gebracht, im zwanzigsten Arrondissement, im Osten von Paris. Wir waren nie zu ihm gefahren, jedenfalls nicht in der Anfangszeit. Aber jetzt zu mir zu fahren kam eigentlich nicht in Frage, denn da hätte Beattie uns erwartet und sicherlich mit Fragen bombardiert. Einem irischen Kreuzverhör fühlte ich mich im Moment jedoch einfach nicht gewachsen.
Damals, beim ersten Mal, hatte ich Marcs Hände auf dem Lenkrad beobachtet, der sich als waschechter Pariser einen Weg durch den Verkehr bahnte, über die Place de la République hinweg, wo die große Bronzedame mit ihrem Ölbaumzweig in den Himmel ragte, und weiter über die Place de la Bastille mit ihrem goldenen génie, dem herrlichen Geist der Freiheit, der hoch oben auf der grün angelaufenen Julisäule stolz mit den Flügeln schlug, und dann um den Platz herum und an dem protzigen Glasbau der Oper vorbei.
Weiter und weiter, bis wir bei mir zu Hause waren.
Auf dieser Fahrt hatte ich mich in seine Hände verliebt, in seine schönen, kräftigen Finger und in seine Berührung, als er mein Knie streichelte, während wir vor meiner Wohnung im Auto saßen, sodass es mir heiß die Schenkel hinaufschoss. Die Faszination seiner Berührung - seine Lippen dicht an meinem Ohr, in meinem Haar, als ich nach dem Türgriff tastete.
»Ne pars pas, Annie! Lass mich mit reinkommen - wir können einfach nur reden.«
Aber ich wusste, wenn er mit hinaufkam, würde ich nicht nur reden können.
Inzwischen hatten die Wärme des Wagens und das vertraute Schnurren des Motors, der wie eine dicke asthmatische Katze klang, mich so eingelullt, dass ich nur noch halb bei Verstand war. Im Moment wollte ich einmal nicht nachdenken müssen. Marc sollte alles Weitere übernehmen. Wenn ich einfach nur ins Bett gehen konnte, würde alles wieder gut werden. Davon war ich überzeugt - morgen früh würden wir wieder zurück sein, zu Hause bei Charlie. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt aufzulehnen.
»Also, was sollen wir tun, Marc? Was
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