Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
b-bisschen hier draußen bleiben, Karl?«, fragte sie. »I-ich fühle mich nicht besonders wohl. Ich würde gerne noch ein paar Minuten an der frischen Luft bleiben.«
Das war keine Lüge. Noch während sie es sagte, spürte sie, wie die Übelkeit in ihr aufstieg, und sie ließ sich zu Boden sinken und übergab sich. Dahl hielt ihre Hand, wie es ein liebevoller Freund getan hätte, um ihr Beistand zu leisten.
»Du musst dich hinlegen und ausruhen«, sagte er freundlich und kauerte sich neben sie. »Du hast dich zu sehr aufgeregt.«
»N-nein. Können wir bitte ein p-paar Minuten hier sitzen bleiben? Mir ist so schwindlig.«
»Das kommt daher, weil dich in diesem Parkhaus jemand niedergeschlagen hat, nicht wahr?«, fragte er. »Wegen mir. Ich hab heute Morgen alles im Fernsehen gesehen. Und ich hab's in der Star Tribune gelesen. Ich weiß eine gute Zeitung zu schätzen. Da erfährt man auch die Hintergründe. Tut mir leid, was dieser Mann mit dir gemacht hat«, fuhr er fort. »Ich hab den Bericht gelesen und wusste, dass du mein Engel bist.«
Carey zitterte, als sie sich auf die Fersen zurücksinken ließ. »Ich bin kein Engel, Karl. Ich bin ein Mensch. Ich habe eine Familie. I-ich habe eine k-kleine Tochter. Ich bin Richterin. Ich habe nur meine Arbeit getan.«
»Du frierst«, stellte Karl fest. »Lass uns reingehen. Ich habe Feuer gemacht.«
Er nahm ihren Arm und zog sie mit sich hoch, als er aufstand.
»Was ist das hier?«, fragte sie. »Wo sind wir?«
»Das ist mein Versteck. Ich bin oft schon hier gewesen, hier stört mich niemand.«
»Ich habe das Gebäude gemeint«, sagte Carey und versuchte, nicht über das nachzudenken, was er gerade gesagt hatte. »Wo sind wir? Was war das früher?«
»Das war im Krieg ein Munitionslager. Im Zweiten Weltkrieg. Da ist immer noch solches Zeug drin, aber darum scheint sich niemand zu scheren. Man sollte meinen, dass sie es wegschaffen, wegen Terroristen und so. Weißt du, einer dieser Typen vom elften September hat direkt hier in Minneapolis gelernt, wie man ein Flugzeug steuert.«
Carey fiel keine Antwort darauf ein. Was hier passierte, war einfach zu absurd. Sie war von einem dreifachen Mörder entführt worden, und der hielt ihr hier in aller Seelenruhe einen Vortrag über die innere Sicherheit des Landes.
Während sie ihn wortlos anstarrte, wehte ihr ein Windstoß den beißenden Geruch von Schwefel in die Nase. Eine Raffinerie. Sie konnte sie zwar nicht sehen, aber sie musste irgendwo in der Nähe sein.
»Pass auf, wohin du trittst, Carey«, sagte er, als er sie über die ausgetretenen, halb zerfallenen Betonstufen in das Gebäude führte.
Es war eine Ruine. Es hatte keine Decke mehr, und nur hier und da stand noch eine Wand. Dahl führte sie durch das, was einst ein Flur gewesen sein mochte, bog links ab, dann rechts, und mit jedem Schritt entfernten sie sich weiter von der Tür, durch die sie hereingekommen waren.
Der Boden war schmutzig und mit Unrat und Schutt bedeckt – zerbrochene Flaschen, Bierdosen, Fastfood-Verpackungen. Mörtelbrocken und zerbrochene Ziegel schnitten ihr in die bloßen Fußsohlen.
»Wohin gehen wir, Karl?«, fragte sie.
»Das wirst du gleich sehen«, erwiderte er, und in seiner Stimme schwang eine merkwürdige, jungenhafte Vorfreude mit. »Ich bin wirklich stolz darauf.«
Er führte sie um das Ende einer Ziegelwand herum in sein Versteck, wo ihn noch niemals jemand gestört hatte.
Über diesem Teil des Gebäudes war das Dach noch intakt. Und es gab keine Fenster. Kein Sonnenlicht. Um die Dunkelheit zu vertreiben, hatte Karl überall brennende Kerzen aufgestellt.
In dem flackernden Licht sah Carey, worauf Dahl so stolz war, und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Karl Dahl hatte aus Kissen und Decken ein gemütliches Nest gebaut. In einem kleinen, tragbaren Grill brannte ein Feuer. Umgedrehte Obstkisten dienten als Tische. In einem Kühler stand eine Flasche Champagner, daneben Weingläser. Er hatte sogar irgendwelche gerahmten Familienfotos aufgestellt.
Careys Blick blieb an den Fotos hängen, und langsam drang die Erkenntnis in ihr Bewusstsein. Ein Schwarzweißfoto von einer Abschlussfeier. Ein Foto von einem Baby in einem Silber-rahmen.
Fotos einer Familie.
Ihrer Familie.
55
»Wo ist er?«, fragte Kovac, als er die Kommandozentrale betrat.
»Raum drei«, sagte Dawes. »Sie können durch die Scheibe zusehen.«
»Vergessen Sie's. Er ist mein Verdächtiger«, sagte Kovac.
»Gewöhnen Sie sich ein anderes
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