Kraft des Bösen
er ihnen nach.
Es war berauschend, an dieser lautlosen Pirsch teilzuhaben, an diesem fast mühelosen Gleiten durch die Dunkelheit. Vincents Augen funktionierten bei völliger Dunkelheit fast ebenso gut wie die anderer Menschen bei Tage. Es war, als teilte man die Sinne mit einer starken, schlanken Raubkatze. Einer hungrigen Katze.
Zwei farbige Mädchen befanden sich in der Gruppe. Vincent blieb stehen, wenn die Gruppe stehenblieb. Er schnupperte in der Luft und fing tatsächlich den kräftigen, animalischen Geruch der >Böcke< ein. Es ist nicht mehr höflich im Süden, diesen Ausdruck zu gebrauchen, aber nur wenige Worte sind so zutreffend. Es ist schlichtweg eine Tatsache, daß der Neger schnell zu erregen ist und ebensowenig auf seine Umgebung achtet wie ein Hengst oder ein Rüde in der Nähe eines läufigen Weibchens. Die beiden farbigen Mädchen müssen läufig gewesen sein; Vincent sah zu, wie sie dort auf der schattigen B> schung kopulierten, während ein dritter Junge zusah, bis er an die Reihe kam, und die nackten, schwarzen Beine der Mädchen öffneten und schlossen sich über den wogenden Pobacken der stoßenden Männer. Vincents ganzer Körper brannte vor Verlangen, da schon zu handeln, aber ich zwang ihn, wegzusehen, bis die Jungs ihrer Lust Genüge getan hatten und die Mädchen rufend und lachend - schuldlos und übermütig wie zufriedene Straßenkatzen - nach Hause gingen. Dann entfesselte ich Vincent.
Er wartete, als die drei am Anfang der Bringhurst Street in der Nähe der leerstehenden Schuhfabrik um eine Ecke kamen. Die Sense traf den ersten Jungen im Magen, drang durch seinen Körper und blieb beim Wiederaustreten hinten in der Wirbelsäule stecken. Vincent ließ sie los und stürzte sich mit dem Messer auf den zweiten.
Der dritte lief weg.
Damals, als ich noch ins Kino ging, vor dem Zweiten Weltkrieg, bevor die Filme zu dem hirnlosen, obszönen Schund wurden, von dem ich heute lese, gefielen mir stets besonders Szenen mit ßrchtsamen schwarzen Dienern. Ich weiß noch, wie ich als Kind Geburt einer Nation gesehen habe und lachte, als die schwarzen Kinder von jemandem mit einem Laken erschreckt wurden. Ich weiß noch, wie ich in Wien mit Willi und Nina in einem Vorstadtkino saß, einen alten Film mit Harold Lloyd sah, der keinen Untertitel brauchte, und mit der ganzen Zuschauermenge vor Lachen brüllte über die dümmliche Angst von Stepin Fetchit. Ich kann mich erinnern, wie ich einen alten Bob-Hope-Film im Fernsehen gesehen habe - bevor ich das Fernsehen in den vulgären sechziger Jahren völlig aufgegeben habe - und lauthals über die weißgesichtige Angst von Bob Hopes schwarzem Assistenten in einer Spukhausklamotte achen mußte. Das zweite Opfer von Vincent sah wie einer dieser Filmkomiker aus - riesige, weiße Glotzaugen, eine Hand vor den offenen Mund geschlagen, Knie zusammengedrückt, Füße auseinander. In Grumblethorpe lachte ich in der Stille des Kinderzimmers, noch während Vincent mit dem Messer tat, was getan werden mußte.
Der dritte Junge entkam. Vincent wollte ihn verfolgen, war versessen darauf, ihn zu verfolgen, wie ein Hund, der an der Leine zieht, aber ich hielt ihn zurück. Der Neger kannte die Straßen besser, und Vincents Erfolg lag im Verstecken und Überraschen. Ich wußte, wie riskant das Spiel war, und hatte nicht die Absicht, Vincent zu vergeuden, nachdem ich soviel Arbeit in ihn investiert hatte. Aber bevor ich Vincent zurückholte, ließ ich ihn sich an den beiden austoben, die er schon erledigt hatte. Seine kleinen Spielchen dauerten nicht lange und befriedigten etwas, das immer noch im tiefsten Teil des Dschungels in seinem Kopf lauerte.
Als er dem zweiten Jungen die Jacke auszog, fiel das Foto heraus. Vincent war so beschäftigt, daß er es nicht bemerkte, aber ich ließ ihn die Sense weglegen und das Bild aufheben.
Es war ein Foto von Mr. Thorne und mir.
Ich fuhr im Kinderzimmer von Grumblethorpe kerzengerade im Bett hoch.
Vincent kehrte unverzüglich zurück. Ich erwartete ihn in der Küche und nahm ihm das Foto aus den fleckigen und schmutzigen Fingern. Kein Zweifel - das Bild war unscharf, offensichtlich ein Ausschnitt, der aus einem anderen Foto vergrößert worden war -, aber ich war gut zu sehen und Mr. Thorne unverwechselbar. Ich wußte sofort, daß Mr. Hodges dafür verantwortlich sein mußte. Ich hatte jahrelang mit ansehen müssen, wie dieser erbärmliche kleine Mann mit seiner erbärmlichen kleinen Kamera Schnappschüsse von seiner
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