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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gewesen, weil er sich von den Ereignissen hatte mitreißen lassen.
    Saul wälzte sich aus dem Bett und stand schwankend mitten in der kleinen Stahlzelle. Er trug einen grauen Overall. Sie hatten ihm die Brille weggenommen, daher schienen die nur wenige Schritte entfernten Metallwände verschwommen und vage substanzlos. Den linken Arm hatte er in einer Schlinge gehabt, aber nun hing er lose herab. Er bewegte ihn zaghaft, worauf Schmerzen ihm durch Schulter und Hals schossen - bohrende, stechende Schmerzen, die das Denken klärten. Er bewegte ihn noch einmal. Und noch einmal.
    Saul torkelte zu der Stahlbank und ließ sich darauf plumpsen.
    Gentry, Natalie, Aaron und dessen Familie - alle waren in Gefahr. Vor wem?
    Saul senkte den Kopf auf die Knie, als ein Schwindelgefühl ihn übermannte. Wie hatte er nur so dumm sein und annehmen können, daß Willi und die beiden alten Damen die einzigen mit dieser schrecklichen Kraft waren? Wie viele andere verfügten über Fähigkeit und Neigung des Standartenführers? Saul lachte rauh. Er hatte Gentry, Natalie und Aaron mit hineingezogen, ohne auch nur einen Plan zu haben, wie sie allein mit dem Standartenführer fertig werden sollten. Er hatte vage an eine Falle gedacht - der Standartenführer ahnungslos, Sauls Freunde sicher in ihrer Anonymität. Und was dann? Schüsse der kleinen Berettas Kaliber 22 des Mossad?
    Saul lehnte sich an die kalte Metallwand zurück und drückte die Wange gegen den Stahl. Wie viele Menschen hatte er w> gen seiner Feigheit und Tatenlosigkeit geopfert? Stefa. Josef. Seine Eltern. Jetzt mit Sicherheit den Sheriff und Natalie. Francis Harrington. Saul stieß ein leises Seufzen aus, als er sich an das kehlige Auf Wiedersehen in Trasks Büro und die anschließende Explosion erinnerte. Eine Sekunde vorher hatte ihm der Standartenführer irgendwie einen Blick durch Francis’ Augen ermöglicht, und Saul hatte die entsetzte Präsenz des Jungen als Gefangenen in seinem eigenen Körper wahrgenommen, wo er auf das unausweichliche Opfer wartete. Saul hatte den Jungen nach Kalifornien geschickt. Seine Freunde, Selby White und Dennis Leland. Zwei weitere Opfer auf dem Altar von Saul Laskis Feigheit.
    Saul wußte nicht, weshalb sie dieses Mal zuließen, daß die Wirkung der Drogen abklang. Vielleicht waren sie mit ihm fertig; beim nächsten Besuch würden sie ihn zur Hinrichtung hinausführen. Das war ihm einerlei. Wut floß wie ein elektrischer Strom durch seinen geschundenen Körper. Er würde handeln, bevor die unvermeidliche, längst überfällige Kugel sich in seinen Kopf bohrte. Er würde irgend jemanden als Vergeltung weh tun. In diesem Augenblick hätte Saul Laski mit Freuden sein Leben gegeben, um Aaron und die beiden anderen zu warnen, aber er hätte aller Leben geopfert, wenn er gegen den Standartenführer und sämtliche anderen arroganten Dreckskerle vorgehen könnte, die die Welt beherrschten und die Pein der Menschen verhöhnten, die sie als ihre Bauern benützten.
    Die Tür wurde aufgerissen. Drei große Männer in weißen Overalls kamen herein. Saul stand auf, torkelte ihnen entgegen, hieb mit einer Faust mit aller Gewalt nach dem Gesicht des einen.
    »He«, lachte der große Mann, der Sauls Arm mühelos abfing und auf den Rücken drehte, »dieser alte Jude will Spielchen spielen.«
    Saul kämpfte, aber der große Mann hielt ihn so mühelos wie ein Kind. Saul versuchte nicht zu weinen, als ihm der zweite Mann den Ärmel hochkrempelte.
    »Sie gehen da-da«, sagte der dritte Mann, während er die Nadel der Spritze in Sauls geschwollenen Arm stach. »Gute Reise, alter Mann.«
    Sie warteten dreißig Sekunden, ließen ihn los und drehten sich um, um zu gehen. Saul taumelte ihnen mit geballten Fäusten hinterher. Er war bewußtlos, noch ehe die Tür wieder eingerastet war.
    Er träumte, daß er ging, geführt wurde. Lärm von Flugzeugturbinen und abgestandener Zigarrenrauch. Dann ging er wieder, während kräftige Hände ihn an den Oberarmen festhielten. Die Lichter waren überaus grell. Wenn er die Augen zumachte, konnte er das Klack-klack-klack metallener Räder hören, als der Zug sie alle nach Chelmno brachte.
    Saul kam auf einem bequemen Sitz in irgendeinem Transportmittel zu sich. Er konnte ein konstantes, rhythmisches Swusch hören, brauchte aber ein paar Minuten, bis er es als Lärm eines Helikopters identifizieren konnte. Er hatte die Augen geschlossen. Unter seinem Kopf spürte er ein Kissen, aber sein Gesicht berührte Glas oder Plexiglas. Er

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