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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Directors des FBI.«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Aaron.«
    »Was hat Ihnen Aaron sonst noch gesagt?«
    Saul wiederholte die Unterhaltung, so vollständig er sich daran erinnern konnte.
    »Wer weiß sonst noch über Willi Borden Bescheid?«
    »Der Sheriff. Das Mädchen.« Saul erzählte von Gentry und Natalie.
    »Sagen Sie mir alles, was Sie wissen.«
    Saul sagte ihm alles, was er wußte.
    Nebel und Träume kamen und gingen. Die Stahlzelle war manchmal da, wenn Saul die Augen aufschlug. Die Koje war in die Wand eingebaut. Die Toilette war zu klein und hatte keine Spülung, sie spülte in bestimmten Intervallen selbsttätig. Mahlzeiten auf Stahltabletts tauchten auf, wenn Saul schlief. Er nahm die Mahlzeiten auf der Metallbank zu sich und ließ die Tabletts stehen. Wenn er aufwachte, waren sie fort. Ab und zu kamen Männer in weißer Arzthelferkleidung durch die Metalltür und gaben ihm eine Spritze oder führten ihn durch weiße Flure zu einem Zimmer mit Spiegeln an der Wand, zu der er sich drehen mußte. Colben oder jemand anders in einem grauen Anzug stellte ihm Fragen, Wenn er Antworten verweigerte, bekam er noch mehr Spritzen, gefolgt von quälenden Träumen, in denen er mit aller Verzweiflung Freundschaft mit diesen Männern schließen wollte und ihnen erzählte, was sie hören wollten. Manchmal spürte er, wie jemand - Colben? - in seinen Verstand eindrang; dann stiegen alte Erinnerungen an ein ähnliches Erlebnis vor vierzig Jahren in ihm empor. Doch das geschah selten. Die Spritzen waren häufiger.
    Saul pendelte rückwärts und vorwärts durch die Zeit; rief auf dem Bauernhof seines Onkels Moische nach seiner Schwester Stefa, sputete sich, damit er im Getto von Lodz mit seinem Vater Schritt halten konnte, schaufelte Kalk auf die Leichen in der >Grube<, trank Limonade und unterhielt sich mit Gentry und Natalie, spielte mit dem zehnjährigen Aaron und Isaac auf Davids und Rebeccas Farm bei Tel Aviv.
    Allmählich ließ die drogeninduzierte Diskontinuität nach. Die Zeit fügte sich wieder zusammen. Saul lag zusammengerollt auf der kahlen Matratze - er hatte keine Decke, die klimatisierte Luft aus dem Gitter war zu kalt - und dachte über sich und seine Lügen nach. Er hatte sich selbst jahrelang belogen. Seine Suche nach dem Standartenführer war eine Lüge gewesen - eine Ausrede, nicht zu handeln. Sein Leben als Psychiater war eine Lüge gewesen, eine Methode, seine Besessenheit in eine sichere, akademische Distanz zu rücken. Sein Einsatz als Arzt in drei israelischen Kriegen war eine Lüge gewesen, eine Möglichkeit, direkte Kampfhandlungen zu meiden.
    Saul lag im grauen Hinterland zwischen drogeninduziertem Nirwana und schmerzvoller Realität und sah die Wahrheit seiner jahrelangen Lügen. Er hatte sich selbst seine vernunftmäßige Begründung dafür vorgelogen, daß er dem Sheriff von Charleston und der jungen Preston von Nina und Willie erzählt hatte. Er hatte insgeheim gehofft, daß sie handeln würden - und ihm damit die Last von Verantwortung und Rache abnahmen. Saul hatte Aaron nicht gebeten, nach Francis Harrington zu suchen, weil er selbst zu beschäftigt war, sondern weil er sich insgeheim wünschte, daß Aaron und der Mossad taten, was getan werden mußte. Er wußte jetzt, sein Motiv, weshalb er Rebecca vor zwanzig Jahren von dem Standartenführer erzählt hatte, hatte teilweise darin bestanden, daß er hoffte, sie würde es David weitererzählen und David würde sich der Sache in seiner starken, zupackenden amerikanisch-israelischen Weise annehmen .
    Saul erschauerte, zog die Knie an die Brust und betrachtete alle Lügen seines Lebens.
    Abgesehen von den wenigen Minuten, als er sich im Lager von Chelmno entschieden hatte, lieber zu töten, als sich in die Nacht führen zu lassen, war sein ganzes Leben ein Lobgesang auf Untätigkeit und Kompromisse gewesen. Die Mächtigen schienen das zu spüren. Ihm war jetzt klar, daß sein Einsatz bei dem >Gruben<-Kommando in Chelmno und dem Eisenbahntrupp in Sobibor ebensowenig Zufall wie Glück gewesen waren; die Dreckskerle, die Macht über ihn besaßen, hatten gespürt, daß Saul Laski der geborene Kapo war, ein Kollaborateur, jemand, den man sicher benützen konnte. Von ihm war keine Gewalt zu erwarten gewesen, kein Aufbegehren, keine Chance, daß er sein Leben für andere hingeben würde - nicht einmal, um seine eigene Würde zu wahren. Sogar seine Flucht aus Sobibor und dem Jagdrevier des Standartenführers davor waren eine Folge von Zufällen

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