Kramp, Ralf (Hrsg)
Einschussloch in der Stirn. Und dann gab es auch noch den kleinen Metallkoffer, so einen, in dem man Geld aufbewahren kann, ein Zwanzig-Mark-Schein lag noch drin. Etwas unheimlich, nichts für zart besaitete Gemüter. Aber für jemanden, der Eifelkrimis liebt und vielleicht gerne selbst einen schreiben möchte, wäre es genau das Richtige, und wenn Sie so einen kennen, dann melden Sie sich doch bitte bei mir.
Knochenjob
N ADJA Q UINT
Früher hieß ich Dieter Olschewski, und mein Leben verlief tragisch. Ruth, meine Verlobte, starb kurz vor unserer Hochzeit bei einem Autounfall. Ein Jahr später erkrankte ich an Rheuma, seitdem mochte ich mich keiner Frau mehr zumuten, also blieb ich freiwillig allein. Natürlich hätte ich mich pensionieren lassen können, denn mein Rheuma wurde schlimmer. Doch ich liebte meinen Beruf, nach so herben Rückschlägen wollte ich den nicht auch noch aufgeben. Zudem fühlte ich mich wohl als Studienrat am St. Matthias-Gymnasium in Gerolstein.
Ich unterrichtete Biologie und Philosophie. Wobei die Philosophie für mich eher eine Notlösung war, als Lehrer braucht man ja ein zweites Fach. Zu Beginn des Studiums hatte ich überlegt, ob ich nicht vielleicht Chemie nehmen sollte. Biologie und Chemie – das halten viele für eine sinnvolle Kombination. Aber ich hatte eine sehr feine Nase, damit hätte ich die meisten chemischen Experimente schlecht ertragen. Philosophie dagegen ist weitgehend geruchsfrei.
Aber ich muss zugeben: Ein Philosoph mit Leib und Seele wurde ich nie. Mein Herzblut floss in der Biologie. Dieses Fach faszinierte mich so sehr, dass mir der Unterricht am Morgen nicht reichte, ich blieb auch nachmittags in der Schule. Der Raum, in dem unsere zoologische Sammlung untergebracht war, wurde mein zweites Zuhause. Hier fühlte ich mich glücklich. Nichts fand ich erfüllender als den Umgang mit den präparierten Tieren, nichts vermittelte mir mehr das Gefühl, selbst noch am Leben zu sein. Ich kümmerte mich so intensiv um die Ausstellungsstücke, dass unsere Direktorin mich eines Tages zu sich bestellte.
»Herr Olschewski«, sagte sie. »Bitte pflegen Sie künftig nicht nur den Bestand der Sammlung, sondern kaufen Sie auch Exponate hinzu.«
»Sehr gerne«, antwortete ich und nickte heftig.
Ab sofort widmete ich mich noch hingebungsvoller den Schaukästen mit den heimischen Schmetterlingen und den Gläsern voller Fische in Alkohol. Einen Iltis mit Motten im Fell brachte ich zum Tierpräparator und erwarb dort gleich einen Elchkopf und ein Stachelschwein. Außerdem suchte ich nach einem neuen Skelett der Spezies
Homo sapiens
. Wir hatten zwar schon eins, nämlich Herrn Pfeiffer, einen von braunen, halb verrosteten Drähten zusammengehaltenen Knochenmann, doch der war schon sehr betagt. Trotzdem mochten die Schüler ihn. Sobald ich ihn an seiner Aufhängung ins Klassenzimmer schleifte, schüttelten sie ihm die Hände und setzten ihm eine Pudelmütze auf den kahlen Schädel. Ich weiß nicht, weshalb ich diesen Eindruck hatte, aber irgendwie kam es mir vor, als litte Herr Pfeiffer unter Einsamkeit. Darum beschloss ich, er sollte Gesellschaft bekommen. Durch eine Zeitungsanzeige unter der Rubrik
Verschiedenes
fand ich ein neuwertiges, echtes weibliches Skelett. Ich stellte es neben Herrn Pfeiffer und nannte es Edeltraut. Wie Vater und Tochter sahen die beiden aus. Manchmal, wenn ich wieder ganze Abende in der Sammlung verbrachte, erzählte ich ihnen etwas aus meinem Leben. Sie hörten mir zu.
So vergingen die Jahre, mein Rheuma wurde heftiger, doch dank moderner Medizin und intensivem Entspannungstraining hielt ich durch. Irgendwann jedoch kam der Tag, an dem unsere Direktorin sagte: »Nächstes Jahr gehen Sie in Pension, Herr Olschewski«.
»Muss das sein?«, fragte ich patzig.
Sie ließ mich noch ein Jahr unterrichten – bis sechsundsechzig. Länger ging es nicht, denn ich war Beamter.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie Fabian an die Schule kam, mein Nachfolger für Biologie. Er hatte sich aus Koblenz zu uns versetzen lassen, und wir waren uns von Anfang an sympathisch.
»Meine Frau arbeitet weiterhin als Anwältin in Koblenz«, erzählte er. »Aber wir lieben die Eifel und möchten hierher ziehen. Wir suchen nur noch eine Wohnung.«
Sofort bot ich ihm das Du an – und die Doppelhaushälfte neben mir. Zwar gehörte mir das ganze Haus, aber mehr als eine Seite konnte ich allein nicht bewohnen, und die andere Hälfte stand schon geraume Zeit leer.
»Die letzten
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