Kramp, Ralf (Hrsg)
diesem ganz besonderen Ereignis hier begrüßen zu dürfen!« So hatte der Hotelmanager Herr Jablonowski uns mit einem Blumenstrauß im
Dorint Ferienresort
empfangen. »Wir haben für Sie«, er nickte Jochen zu, »eines der Landhäuser reserviert. Direkt am Waldrand gelegen. Dort sind Sie ungestört.«
Ich war mir nicht sicher, ob er wusste, dass es »unser Landhaus« war, in das er nun die Koffer tragen ließ.
Prustend komme ich nach oben an die Wasseroberfläche und schnappe nach Luft. Ich bin immer noch allein. Jochen ist nicht da. Er schläft lange. Die letzten Tage waren anstrengend für ihn. Er ist es nicht gewohnt, sich so viel zu bewegen, auch wenn er in der letzten Zeit immer mehr Sport gemacht hat. Jochen ist dünn geworden, und ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Ich mag keine Männer, die dünn wie Heringe sind und nur noch aus Haut, Knochen und Muskeln bestehen. Ein bisschen was zum Anfassen muss schon dran sein. Wie bei mir. Ich bin ja auch nicht die Dünnste.
»Du bist wunderbar, so wie du bist«, hat Jochen früher oft gesagt, wenn er sich an mich geschmiegt und mich umarmt hat. »Wie ein weiches Kissen.« Ich habe gelächelt und mir eine der Pralinen genommen, die er mir früher immer geschenkt hat, weil er wusste, wie sehr ich diese Sorte mag. Er hat es lange nicht mehr gesagt. Mir lange keine Pralinen mehr geschenkt. Trotzdem bin ich hier.
Ich mag Daun. Und ich mag den Ferienpark. Seine Vorzüge sind die, die mich auch schon vor Jahren hierher gezogen haben. Von Köln aus brauchen wir nur etwas mehr als eine Stunde mit dem Auto, die Natur ist großartig und der Service wunderbar. Was will man mehr. Es war wirklich eine tolle Idee, die Hochzeit hier mit allen Gästen gemeinsam zu feiern und im Anschluss einige Tage zu bleiben.
Der Bademantel umhüllt mich wie ein weicher Pelz, als ich aus dem Wasser steige und ihn überstreife. Ich überlege kurz, noch in die Sauna zu gehen, entscheide mich aber dagegen. Später kann ich mich damit belohnen.
Die Glastür am Eingang zum Wellnessbereich schlägt mir aus der Hand, und ich zucke zusammen. Das Hotel erwacht zum Leben. Aus den Gängen höre ich Kinderlachen und durch das Treppenhaus klingt das Klappern von Geschirr aus dem oberen Restaurant. Frühstückszeit. Durch die Holztür links gelange ich nach draußen und mache mich auf den Weg zu meiner Unterkunft. Jemand hat auf Augenhöhe ein halbes Hufeisen unter zwei schweren Eisennägeln befestigt. Es sieht aus wie ein lächelndes Gesicht. Ich lächle zurück, obwohl mir nicht danach ist. Das warnende Gefühl in meinem Bauch ist zurückgekehrt.
Den Weg bis zum Ferienhaus kenne ich wie im Schlaf. Über schmale Pfade den Berg hinab bis zu einem kleinen Wendehammer, an dessen Rand sich Wagen wie an einer Kette aufreihen. Dann der Straße im Halbkreis folgen, vorbei an anderen Ferienhäusern. An der tiefsten Stelle führt eine Treppenkaskade bis zum Haus hinunter. Zweiunddreißig Stufen sind es insgesamt. Ich habe sie gezählt. Schon oft. Auf dem ersten Stück des Weges bietet mir ein Holzbalken Stütze. Über den zweiten, wesentlich steileren Teil hilft mir ein Metallgeländer hinweg. Am oberen Ende ist es lose, ich schwanke leicht, fange mich aber wieder. Unser Haus ist das letzte in der Reihe. Alle Fenster sind noch dunkel. Jochen schläft wohl immer noch. Ich lege meine Hand auf den kühlen Putz neben der Haustüre, setze mich auf die Holzschwellen, die das Beet neben dem Haus absichern und lausche der Stille. Vögel zwitschern, ich spüre meinen Herzschlag und den Klumpen in meinem Magen, der immer größer wird. Dann stehe ich auf, mache einen Schritt vor den anderen und umrunde das Haus, bis ich vor dem leicht geöffneten Schlafzimmerfenster stehe. Gardinen verwehren mir den Einblick. Jemand stöhnt, und ich halte mir die Ohren zu. Ich will das nicht hören. Es ist Jochen. Und seine Frau.
Ich hasse sie. Auch wenn ich mir nach außen hin nichts anmerken lasse, weil ich nicht als die Dumme dastehen will. Er hat sich für sie entschieden. Ja und? Er hat mich ja nicht aus seinem Leben verbannt. Ich durfte weiterhin teilnehmen. Am Rande. Ich wollte ihn nicht verlieren, deshalb habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Ich will doch nur sein Bestes. Und wer weiß? Nichts ist für die Ewigkeit. Ehen halten heute nicht mehr so lange, wie es früher einmal war. Wenn er erst einmal versteht, wie sehr sie ihn beeinflusst, wie sie ihn manipuliert, ihm ihren Willen aufdrängt und seine Persönlichkeit
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