Kramp, Ralf (Hrsg)
wird es gehen.
Ich schlage einen Bogen hinter den Häusern durch den Wald zurück zum Haupthaus und beeile mich, in mein Zimmer zu kommen. Die Aufregung bringt mich ganz durcheinander. Mein Magen rebelliert und treibt mich ins Badezimmer. Aber ich darf nicht krank werden. Ich muss meine Aufgabe erfüllen.
Ein paar Stunden werde ich mich gedulden müssen.
Eine Anti-Stress-Massage verspricht Ablenkung. Unter den kundigen Händen der beiden Masseurinnen vergeht die Zeit auf angenehme Weise, und ich perfektioniere in Gedanken meinen Plan. Ein ziehender Schmerz in meiner Mitte lässt mich aufstöhnen.
»Alles in Ordnung?«, fragt mich die Masseurin zu meiner Rechten, träufelt neues Öl auf meinen Rücken, und ich nicke stumm. Alles wird in Ordnung sein. Bald.
Jetzt, wo es soweit ist, haben sich meine Nerven beruhigt, und es geht mir besser. Es ist nicht viel, was ich in meine Tasche packen muss, bevor ich mich auf den Weg mache.
Der Wagen eines ortsansässigen Handwerkerbetriebs parkt auf der Straße oberhalb des Hauses.
Josef Lorse—Schlosserei
steht auf der Fahrertür des weißen VW-Pickup. Ein Mann in blauer Latzhose und blauer Arbeitsjacke steigt aus und nickt mir zu. Er erinnert mich an Jochens Vater, auch wenn er jünger ist. Ich spüre, wie ein Lächeln um meine Lippen zuckt und ich sein Nicken erwidere. Seine Augen, seine Haltung und der Dreitagebart rühren etwas in mir an, und ich frage mich, wie es heute wäre, wenn er noch leben würde. Von seinem Vater hat Jochen seinen Charme geerbt. Seine Unwiderstehlichkeit. Seinen Hang zu jungen, schmalen Frauen. Er war kein gutes Beispiel für Jochen. Schon damals wollte ich nur sein Bestes. Ich seufze und beobachte, wie der Schlosser den losen Handlauf des Metallgeländers festschweißt. Manche Dinge sind unangenehm. Trotzdem müssen sie getan werden.
Die Magenschmerzen sind wieder da. Sie werden schlimmer. Solche Aufregungen scheinen mir mehr zuzusetzen als früher. Ich atme tief ein und lehne mich an den Holzstapel hinter dem Haus. Nur eine kurze Pause. Mit Blicken suche ich nach dem Stein, den ich heute Morgen bereits hier entdeckt habe, und finde ihn im hohen Gras. Er ist schwer und ich muss mich anstrengen, um ihn hochzuheben und an seinen von mir zugedachten Platz zu legen. Schweiß läuft in kleinen Bächen meinen Rücken hinunter, und mein Herz rast. An einem der Balken befestige ich eine Schnur, gehe quer über den Weg und knote ihn um den Stamm des nächsten Baumes. Dann trete ich zurück und betrachte mein Werk. So wird es gehen. Es wird aussehen, als ob sie gestolpert und gefallen wäre. Mit dem Kopf auf den Stein aufschlagen. Ein tragischer Unfall.
Mein Magen krampft sich zusammen, und ich schnappe nach Luft. Ich höre ihre Stimme. Sie verabschiedet sich von Jochen. Langsam schaue ich aus meiner Deckung heraus. Sie trägt etwas in der Hand. Die Pralinenschachtel. Jochen steht in der geöffneten Terrassentür und schaut ihr hinterher.
»Ich bin nicht wie deine Mutter«, höre ich sie sagen. »Ich mag keine Pralinen. Das weißt du doch ganz genau, Schatz!« Lachend und mit einem Kopfschütteln wirft sie die Packung in die Mülltonne. Jochen nickt. Sie schenkt ihm eine Kusshand, wendet sich um und schlägt den Weg ein, der sie zu mir führen wird. Meine Hände zittern. Ich höre ihre Schritte. Ich krümme mich und gleite langsam an dem feuchten Holz entlang auf den Boden. Kleine Punkte tanzen vor meinen Augen. Sie kommt näher. Ich spüre die dumpfen Erschütterungen auf dem Waldboden und krieche an den Rand des Stapels. Drei Schritte, zwei Schritte, ein … Sie bleibt stehen.
»Oh mein Gott! Was machst du hier? Geht es dir nicht gut?«, sagt sie, beugt sich zu mir hinunter, um im gleichen Augenblick das Seil und den Stein zu sehen. Als sich unsere Blicke treffen, durchfährt ein Schmerz meine Eingeweide wie ein Blitz. Ihr Mund öffnet und schließt sich. Dann schluckt sie, steht auf und ruft nach ihm. Nach Jochen. Laut. Der Ton schrillt in meinen Ohren, bis sein Gesicht neben ihrem auftaucht.
»Jochen«, versuche ich zu sagen und strecke eine Hand nach ihm aus. Er bleibt unverwandt an ihrer Seite stehen.
In meinem Leib explodiert der Schmerz. Wellen von Übelkeit erfassen mich. Ich rolle mich auf dem Boden zusammen, wimmere, greife mit beiden Händen in meine Mitte.
Dann ist er da, kniet nieder und nimmt meinen Kopf auf seinen Schoss. Ich sehe die Tränen in seinen Augen. Sein Duft umhüllt mich, der Duft von meinem kleinen Jungen, der er
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