Kramp, Ralf (Hrsg)
einmal war, von seinem Vater, der mich betrogen und allein gelassen hat, und plötzlich erinnere ich mich, dass seine Pralinen immer süß geschmeckt haben.
»Ich wollte immer nur dein Bestes«, flüstere ich und spüre, wie meine Lider schwer werden. Sanft streicht er mir das Haar aus der verschwitzten Stirn.
»Ich weiß.« Sein Blick wird hart. »Aber du wirst es nie wieder bekommen.«
Buuredanz
VON B RIGITTE G LASER
Der Magen schwer von Rumpelsteinen, der Atem gallig, die Hände am Lenkrad zittrig, alles in Felix Wunderlich wehrt sich gegen diese zweite Tour nach Berndorf. Sein Ford Kombi ächzt den Berg hinter Hillesheim hoch, die alte Karre sträubt sich genauso gegen den Ort wie sein Fahrer. Vergebens. Rechter Hand taucht in der Ferne die alte Wehrkirche auf. In der Mitte des Ortes erreicht er nach einer Weile die Abzweigung. Seit heute Morgen hat er die Nachrichten auf allen lokalen Radiosendern verfolgt. Nichts. Das heißt, dass man sie noch nicht gefunden hat. So was kann in der Eifel lange dauern, wenn man bedenkt, dass heute noch im Zweiten Weltkrieg abgeschossene Bomber unentdeckt in den Wäldern liegen. Eine Erleichterung will sich allerdings deswegen nicht einstellen. Zwei Minuten später parkt Felix vor dem Berndorfer Gemeindesaal und konzentriert sich auf seine Arbeit. Das letzte Mal hat er hier im Juli gespielt, kurz nach der Kirmes zu Peter und Paul, auf dem zwanzigsten Hochzeitstag von Claudia und Achim Erdorf. Die Akustik im Saal ist so lala, es gibt Säle in der Eifel, wo sie schlechter ist, wenige, wo sie besser ist. Er kennt sie alle, kaum einen, in dem er als Alleinunterhalter noch nicht aufgetreten ist.
Dahlienumrankt die Eingangstür, alte Milchkannen mit Herbstblumen im Foyer, die Tische im Saal festlich geschmückt, über der Bühne in Herzform ein großes Foto des Brautpaares, darunter steht
Hochzeit von Robin und Jenny
. Eifrige Hände verteilen Gläser und Besteck, Erika Maul wacht darüber und tauscht gleichzeitig ein paar Platzkärtchen aus. Felix kennt sie, sie ist die Mutter des Bräutigams, der eine gute Partie ist. Jenny Schmitz ist die Tochter des einzigen großen Bauern in Berndorf, da will man sich als größte Metzgerei der Gegend nicht lumpen lassen. Erika richtet die Hochzeit aus, weil Jennys Mutter tot ist und weil es in der Gegend sowieso niemanden gibt, der so ein Ereignis besser organisieren kann.
»Die Musik ist da«, ruft Felix seinen Standardsatz in den Saal. Kurz unterbrechen die eifrigen Hände ihre Arbeit, die Bräutigammutter verschließt ein paar Platzkärtchen in ihrer Hand und kommt auf ihn zu.
»Wenn die Musik stimmt, kann bei einer Hochzeit nichts schiefgehen.« Die große, kräftige Frau nickt eifrig, um ihre Aussage zu unterstreichen, aber Felix weiß, wie viel schiefgehen kann, auch wenn die Musik stimmt. Die Erinnerung an den gestrigen Abend in Berndorf steigt ihm sauer auf. Doch das merkt Erika Maul nicht, die ist mit anderem beschäftigt. »Den Hochzeitsmarsch spielste zuerst, später darfste den
Buuredanz
nicht vergessen. Aufbau schaffste ja alleine, wir haben noch alle Hände voll zu tun«, ruft sie ihm zu, während sie die eifrigen Helferinnen zur Tür dirigiert, wo das Buffet angeliefert wird.
Felix nickt, schleppt danach Keyboard und den nötigen Kabelsalat in den Saal, er hat immer alles dabei, manches sogar zweifach. Nach zwanzig Jahren als Alleinunterhalter weiß man, dass man sich auf nichts verlassen kann. Aber gestern Abend hat ihm seine ganze Erfahrung nichts genutzt.
Er hat sie erst überhaupt nicht erkannt. Die Haare kurz und blond, früher sind sie braun und halblang gewesen, und immer gab es eine widerspenstige Strähne, die sie aus dem Gesicht pusten musste. Tamara Hermes aus Berndorf. Gott, wie lang war das her? Fünfzehn Jahre oder achtzehn? Damals sind die Frauen nicht nur wegen der Musik, sondern seinetwegen gekommen. In den Bann gezogen von seinen braunen Augen, seinem traurigen Blick, seiner sanften Stimme. So haben sie es ihm immer zugeflüstert. Nach jedem Auftritt hat er eine andere mit nach Hause nehmen können, so auch Tamara, um die ihn alle beneidet haben, weil jeder sie wollte. Die einzige Frau, mit der er je getanzt hat! Weil man als Alleinunterhalter immer nur die anderen zum Tanzen bringt, nie sich selbst. Den
Buuredanz
, ein alter Hit der Kölner Bläck Fööss, hat sie sich dafür ausgesucht. Bis heute hat Felix keine Ahnung, warum Tamara dieses Stück so gemocht hat. Er mochte ihre widerspenstige Strähne
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