Krampus: Roman (German Edition)
ruhig.
»Dillard … verdammt noch mal«, sagte Jesse mit angespannter Stimme. »Du musst das nicht tun.«
»Setz … sie … ab.«
Die rechte Hand erhoben, ließ Jesse seine Tochter zu Boden gleiten. »Geh zu Mommy«, flüsterte er ihr zu.
Abigail lief zu Linda, die sie sofort hinter sich zog, um sie abzuschirmen.
»He, Hände hoch«, blaffte Dillard.
Sofort hob Linda die Hände wieder. Sie zitterten.
»So, Jesse, jetzt dreh dich um … schön langsam.« Er wollte ihn von vorne erschießen, damit es nach Selbstverteidigung aussah. »Halt die Hände oben.«
Jesse drehte sich um und schaute Dillard direkt in die Augen. »Sobald du abdrückst, bist du ein toter Mann.«
»Wie das?«
»Sie sind hinterm Haus. Die ganze Truppe, und sie sind schwer bewaffnet.«
Bei seinen Worten gefror Dillard das Blut in den Adern. Die Bilder von verstümmelten Leibern in der Werkstatt des Generals schossen ihm durch den Kopf. Er war sich sicher, dass Jesse log, trotzdem warf er unwillkürlich einen schnellen Blick durchs Verandafenster.
»Hinterm Haus warten drei Männer«, sagte Jesse. »Die anderen sind unten auf der Straße am Fluss. Wenn du abdrückst, wimmelt es hier keine Minute später von denen. Sie werden nach dir suchen, Dillard. Sie wissen, dass du ihre Freunde umgebracht hast.«
Dillard wollte schon abdrücken, aber dann zögerte er. Er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Der Kerl verarscht mich doch.
»Wir stecken da alle gemeinsam drin, Dillard. Niemand wird ein Sterbenswörtchen über die Angelegenheit verlieren. Wenn ich dich hinter Gitter bringe, kann ich mich genauso gut gleich mit verpfeifen. Lass uns einfach gehen.«
Auf einmal fühlte Dillard sich fiebrig, Tränen traten ihm in die Augen. Er blinzelte heftig, um wieder klar sehen zu können, und stellte fest, dass seine Hand zitterte. Er konnte nicht sagen, ob es an der Migräne oder am Schlafmangel lag oder ob er schlicht die Nerven verlor. Wahrscheinlich alles zusammen.
»Wenn du durch die Vordertür aus dem Haus gehst«, fuhr Jesse fort, »bevor sie etwas mitbekommen, kommst du vielleicht lebend hier raus. Aber du solltest dich lieber beeilen, sie könnten nämlich jede Sekunde hier reinspazieren.«
»Blödsinn.«
»Der General hat mir auch nicht geglaubt … und jetzt ist er tot. Dillard, leg dich nicht mit diesen Kerlen an.«
Er lügt, das weißt du genau, dachte der Polizeichef. Aber Jesse klang so verdammt selbstsicher. Sein Blick war eisern, er strahlte eine tödliche Gelassenheit aus, und seine Stimme war so ruhig, als würde er eine Waffe in der Hand halten. Dillard wurde sich mit einem Mal bewusst, dass vor ihm nicht mehr der Jesse stand, den er all die Jahre herumgeschubst hatte.
»Ich gebe dir jetzt das Foto von Ellen zurück«, sagte Jesse.
»Wie? Was hast du da gesagt?«
»Eigentlich wollte ich dich damit erpressen.«
»Welches Foto?«
»Du weißt genau, welches Foto. Das von deiner Frau. Das, auf dem sie mit aufgeschlitzter Kehle zu sehen ist. Das hinter deinem Hochzeitsfoto versteckt war.«
Dillard hatte das Gefühl, dass sich alles um ihn drehte. Er wollte sich hinsetzen. Das kann er sich nicht ausdenken. Er muss Bescheid wissen. Hat mich etwa jemand übers Ohr gehauen? Wer? Sie sind alle tot … Chet? Ich kann mich nicht daran erinnern, seine Leiche gesehen zu haben. Hat dieser Mistkerl die anderen verraten? Die Waffen, das Foto … wer noch? Chet hasst den General. Hat er sich etwa mit den Jungs aus Charleston zusammengetan? Ist er jetzt in diesem Moment da draußen?
»Es ist in meiner Brusttasche.« Jesse deutete mit dem Kinn nach unten. »Willst du es selbst herausholen, oder soll ich das für dich machen?«
Dillard blinzelte hektisch und versuchte verzweifelt, die Konzentration zu wahren. Finster starrte er Jesse an. »Gib es mir«, fauchte er. »Sofort!«
Jesse ließ die Hand zu seiner Tasche wandern und die Finger hineingleiten, komplett unverletzte Finger. Wie? Dillard sah genauer hin und schaute hektisch zwischen Jesses Händen hin und her. Sie trugen keine einzige Spur. Wie geht das? Das ist unmöglich. Ich habe sie ihm doch gebrochen – ich habe deutlich gespürt, wie sie gebrochen sind. Das ergab alles keinen Sinn. Das Blut rauschte in Dillards Ohren, und er war sich sicher, dass ihm gleich der Schädel platzte.
Da zog Jesse die Hand wieder hervor, die Finger von glitzerndem Staub bedeckt. »Entschuldigung, es ist in der anderen Tasche.«
Hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Erschieß ihn.
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