Krampus: Roman (German Edition)
auf, schob einen Stiefel unter den Herrn der Julzeit und drehte ihn auf den Rücken. Krampus starrte wütend zu ihm empor.
»Du bist ein überaus störrisches Geschöpf«, fauchte Nikolaus. »Doch deine Zeit ist abgelaufen.«
Mit enormer Anstrengung gelang es Krampus, zu lachen – ein wildes, spöttisches Lachen.
Da hob Nikolaus den Speer hoch in die Luft und trieb ihn Krampus mitten ins Herz.
Aller Schmerz verging. Mit einem Mal trieb Krampus schwerelos durch die Lüfte dahin. Die Welt war inzwischen so weit verblasst, dass er kaum noch die Umrisse der Gestalten um ihn herum wahrnahm. Ihre Stimmen klangen, als kämen sie von weit her durch einen Tunnel.
Wipi stieß ein ungezähmtes Klagegeheul aus und griff an. »Halt!«, rief Krampus, doch seine Stimme war kaum mehr als ein Echo. Niemand hörte ihn.
Die Engel versetzten Wipi den Todesstoß und wandten sich dann Nipi zu.
Was danach geschah, sah Krampus nicht mehr, denn die grauen Umrisse und die Stimmen verblichen ganz und ließen nichts zurück.
***
Als Jesse die Hauptstraße erreichte, raste er weiter nach Norden in Richtung Goodhope. Bisher hatte er sich voll und ganz darauf konzentriert, sich aus dem Staub zu machen, aber jetzt wurde ihm klar, dass er nicht vor etwas floh, sondern ein Ziel hatte, und dieses Ziel war Dillards Haus.
Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihm noch blieb. Stand er etwa auch auf der Todesliste von diesem Nikolaus? Hatte Gott ihn verdammt, für die Rolle, die er gespielt hatte? Wie floh man vor dem Zorn Gottes? Darauf wusste er keine Antwort, er wusste nur, dass er noch lebte, und solange er atmete, hatte er vielleicht eine Chance, etwas gegen Dillard zu unternehmen.
Jetzt, da es den General nicht mehr gab, war es eine Sache zwischen ihnen beiden. Werde ich ihn erschießen?
Dann dachte Jesse an den Moment zurück, als Dillard ihn dazu aufgefordert hatte. Wie oft hatte er sich seitdem gewünscht, noch einmal so eine Chance zu erhalten. Aber was würde er tun, wenn er sie tatsächlich erhielt? Eines ist sicher: Ich würde dafür sorgen, dass er Linda und Abi nie wieder etwas antut. Abigails Schrei hallte in seinem Kopf wider, und er sah ihre schreckerfüllten Augen vor sich. Ich würde ihm mindestens die Kniescheiben wegschießen … dann käme er sich wahrscheinlich nicht mehr ganz so groß vor. Es ist nicht gerade leicht, eine Frau zu verprügeln, wenn man im Rollstuhl sitzt. Oh ja.
Jesse fuhr schnell, aber nicht halsbrecherisch. Es war noch früh am Sonntagmorgen, weshalb er die Straße abgesehen von einigen großen Lastern ganz für sich allein hatte. Er kam gut voran und erreichte den Stadtrand just in dem Moment, als das Morgengrauen den Himmel im Osten ausfüllte. Diesmal fuhr er die Straße am Fluss hinter Dillards Haus entlang und parkte den Wagen im Schutz der Bäume.
Er schaltete den Motor aus und wollte gerade aussteigen, da hielt er inne. Moment mal. Vermassle es nicht wieder. Jesse holte den Colt aus der Tasche, vergewisserte sich, dass die Waffe voll geladen war, und steckte sie wieder ein. Sein Blick fiel auf den samtenen Sack, und er starrte ihn eine ganze Weile lang an. Was soll ich bloß mit dem Ding anfangen? Gut möglich, dass es diesen Nikolaus und seine Ungeheuer direkt zu mir führt. Er schüttelte den Kopf. Das muss ich mir später überlegen.
Leise drückte er die Tür zu und näherte sich, indem er von Baum zu Baum huschte, der Rückseite von Dillards Haus. Alle paar Meter blieb er stehen, um zu spähen und zu lauschen. Die Pistole mit dem Finger am Abzug vor sich – ruhig und bereit. Diesmal verließ sich Jesse nicht auf Gott oder auf sein Glück: Diesmal verließ er sich auf sich selbst.
In der Küche und im Esszimmer brannte Licht. Sein Herzschlag beschleunigte sich – es war jemand zu Hause. An der Hecke entlang schlich er zum Schuppen und dann zur Garage. Als er um die Ecke spähte, sah er, dass weder der Streifenwagen noch der Chevy vor dem Haus geparkt waren. Lindas trauriger kleiner Ford Escort stand nach wie vor in der Auffahrt, doch nach den Schneewehen zu urteilen war er seit einer ganzen Weile nicht mehr bewegt worden.
Jesse schlich wieder auf die Rückseite des Hauses und kam zu dem Schluss, dass er am besten durch die Garagentür hineingehen sollte. Da die Tür abgeschlossen war, holte Jesse die Skelettschlüssel hervor. Gleich der erste passte. Er drückte auf den Lichtschalter und sah Dillards Chevy in der Garage. Die Motorhaube war kalt. Jesse holte tief Luft, als ihm
Weitere Kostenlose Bücher