Krampus: Roman (German Edition)
Tür auf und schloss sie in die Arme. Sie erwiderte seine Umarmung fest und fing an zu schluchzen.
Da entdeckte er Abigail, die sich mit dem Rücken zur Wand in eine Ecke gedrückt hatte. In ihren großen Augen spiegelten sich Angst und Verunsicherung. Jesse ließ Linda los.
»Abi, Abi, mein Schatz. Es ist gut. Jetzt ist alles gut.«
Das Mädchen brach in Tränen aus. Jesse nahm sie auf den Arm, hielt sie fest umklammert, drückte das Gesicht in ihr Haar, schloss die Augen und atmete tief ihren Duft ein. Für diesen Moment, für diese eine Sekunde, war er wunschlos glücklich.
Dillard fuhr auf die Auffahrt und schaltete die Scheinwerfer und den Motor aus. Einen Moment lang blieb er im Wagen sitzen und massierte sich den Nasenrücken. Eigentlich wollte er einfach nur eine gehörige Dosis Imitrex nehmen und sich für die nächsten zwölf Stunden im Bett zusammenrollen. Seiner Erfahrung nach war das die einzige Möglichkeit, einer ausgewachsenen Migräne beizukommen. Aber daraus würde nichts werden. Nicht, solange der Sheriff in Goodhope herumschnüffelte. Er musste sich zuerst um Linda kümmern und dann so schnell wie möglich zum General zurück.
Indem er vorsichtig auftrat, um plötzliche Erschütterungen zu vermeiden, ging er die Eingangstreppe hoch und betrat das Haus. Behutsam schloss er die Tür hinter sich und achtete auch dabei darauf, keine lauten Geräusche zu verursachen, die den Schmerz zwischen seinen Augäpfeln erneut hätten aufflammen lassen. Er tastete sich ins Badezimmer vor, holte die Flasche mit dem Schmerzmittel aus dem Schränkchen und nahm zwei Tabletten. Als er die dunklen Ringe unter seinen Augen und die leuchtend rote Brandwunde an seiner Schläfe sah, verdoppelte er die empfohlene Dosis noch einmal.
Dann starrte er auf das Klebeband und das Messer. »Ich habe noch eine Menge zu tun.« Jetzt, da er ein bisschen Zeit zum Nachdenken hatte, wurde Dillard klar, dass er gar keinen Vorschlaghammer brauchte, um in den Weinkeller einzudringen. Ein bisschen Werkzeug, mit dem er die Schrauben aus den Angeln drehen konnte, und schon ließe sich die Stahltür aus dem Rahmen nehmen. Er machte sich auf den Weg zur Garage, blieb jedoch nach zwei Schritten wie angewurzelt stehen. Er hörte Stimmen. Dillard spähte ins Wohnzimmer, und alle Luft wich aus seinen Lungen – die Tür zum Keller stand sperrangelweit offen. Er schloss die Hand um die Pistole. Dann schaltete er das Funkgerät ab und schlich zurück in den schattigen Flur.
Linda kam zuerst herauf, gefolgt von Jesse, der Abigail auf dem Arm trug und einen Revolver locker in der rechten Hand hielt. Die Kleine hielt Jesses Hals umklammert und drückte den Kopf gegen seine Wange.
Dillard ließ sie vorbeigehen, stellte sich dann lautlos hinter sie und drückte Jesse die Pistole in den Rücken. »Fallen lassen, Jesse! Sofort!«
Linda stieß einen Schrei aus.
Jesse versteifte sich, und einen Moment lang war sich Dillard sicher, dass der Idiot irgendeine Dummheit begehen würde. Doch das tat er nicht. Er erstarrte bloß und ließ die Waffe fallen. Mit einem dumpfen Laut landete sie auf dem Boden.
»Alle rüber an den Tisch. Und Hände hoch.«
Sie taten wie befohlen. Dillard zog die Handschuhe über und bückte sich, um Jesses Waffe aufzuheben und sie sich in die Tasche zu stecken.
Abigail fing an zu weinen.
»Dillard«, sagte Linda. »Mein Gott, Dillard. Bitte denk darüber …«
»Halt deine verfickte Klappe, Linda.«
Dillard konnte sein Glück kaum fassen. Jetzt hatte er sie alle drei. Trotz seiner Migräne wurde ihm unvermittelt klar, wie perfekt die Situation war. Er würde erst Jesse erschießen und anschließend die beiden mit dessen Waffe umbringen. Dann musste er den Ermittlern nur erzählen, dass er nach Hause gekommen war und Jesse über den Leichen gefunden hatte. Als Jesse ihn erschießen wollte, hatte er zuerst abgedrückt. Er hätte es nicht besser arrangieren können, wenn er die Tat selbst geplant hätte. Alle, die mit dem General zu tun gehabt hatten, waren tot, es gab keine Zeugen, und niemand war mehr da, der ihn in irgendeiner Weise mit dem General in Verbindung bringen konnte. Dillard lächelte, er konnte einfach nicht anders. Jetzt brauchte er bloß freie Bahn auf Jesse; schließlich wollte er nicht alles vergeigen, indem er Abigail mit einer Kugel aus seiner Waffe traf und sie mit Jesses Blut bespritzte. Damit würde er bei den Gerichtsmedizinern niemals durchkommen.
»Setz sie ab«, sagte Dillard
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