Krampus: Roman (German Edition)
klarwurde, dass der Polizeichef im Haus sein konnte.
Die Garage war sauber aufgeräumt. Alle Werkzeuge hingen an ihren vorgesehenen Plätzen am Werkzeugbrett, die Schachteln waren etikettiert und ordentlich auf den Regalbrettern aufgereiht. Sein Blick fiel auf ein Nähkästchen mit roten Rosen darauf, und er erstarrte. Zumindest was das anging, hatte Chet also die Wahrheit gesagt. Jesse fragte sich, ob der Rest ebenfalls stimmte. Geh weiter. Er wollte sich abwenden, doch dann hielt er inne. Ich muss es wissen.
Mit einem Schritt war Jesse bei dem Nähkästchen und klappte den Deckel auf. Darin befanden sich eine Schmuckschatulle, ein getrockneter Blumenstrauß, zusammengefaltete Spitzentücher und einige Frauenkleidungsstücke. Das Hochzeitsbild von Ellen Deaton lag in einem einfachen schwarzen Holzrahmen auf den Spitzentüchern. Ellen war seinerzeit tatsächlich eine außerordentliche Schönheit gewesen, und sie strahlte fröhlich, wie eine Frau, die ihr ganzes Leben noch vor sich hat.
Hastig drehte Jesse den Rahmen um, löste die Halterungen und nahm die Rückwand heraus. Ein Polaroidfoto fiel auf den Stoff, und er holte zischend Luft. Wieder Ellen, allerdings lag die Frau auf dem Polaroidfoto auf einem Schieferkachelboden in einer Blutlache. Sie starrte aus ausdruckslosen Augen zu ihm empor, und ihre Kehle war aufgeschlitzt. Ihr Oberteil war zerrissen, klaffende Schnitte und Stichwunden hatten ihre Brüste bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Jesse wirbelte herum und ließ Dillards morbiden Schrein hinter sich. »Linda«, flüsterte er mit pochendem Herzen. Er hatte gewusst, dass sie in Schwierigkeiten steckte, aber bis zu diesem Moment hatte er nicht daran geglaubt oder sich vielmehr nicht gestattet, zu glauben, dass Dillard zu einer derart bestialischen Tat fähig war. Verzweifelt versuchte er, das Bild aus seinem Kopf zu verbannen.
Er eilte zu der Tür, die ins Haus führte. Sie war nicht abgeschlossen, und er schlich sich hinein. Kurz vor der Küche erstarrte er, und sein Herz pochte heftig in der Brust. Eine Grillpfanne lag auf dem Boden, und ein Glas Milch war auf der Anrichte umgekippt. Er sah die Stühle im Esszimmer liegen und rannte durchs Wohnzimmer und den Flur entlang, die Waffe schussbereit erhoben. Die Schlafzimmertür stand offen. Er entspannte sich etwas, spähte in einen Raum nach dem anderen, durchsuchte jeden Winkel und jede Kammer, entdeckte jedoch niemanden.
Schließlich kehrte er auf den Flur zurück und sah Lindas Kleider und Abigails Spielsachen, die vor der Tür zusammengeschoben waren. Etwas am Boden erregte seine Aufmerksamkeit, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass es dieselben Schieferkacheln waren wie auf dem Polaroidfoto. Ellen war genau hier gestorben, wo er jetzt stand. Mit diesem Bild ist Dillard erledigt. Dafür wird er für immer hinter Gitter wandern. Auf keinen Fall lässt du es hier zurück.
Als Nächstes warf Jesse einen flüchtigen Blick ins Badezimmer, blinzelte, schaute noch einmal genauer hin und schaltete das Licht an. Auf dem Frisiertisch lagen eine Rolle Klebeband und ein Messer. Er schnappte nach Luft, als ihm klarwurde, was das bedeutete, aber dann entdeckte er seine eigene Mütze sowie die Haarbürste und den Schraubenzieher aus seinem Wagen. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Dillard nicht nur vorhatte, Linda und Abigail zu töten, sondern dass er den Mord ihm anhängen wollte. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Komme ich etwa zu spät? Er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, aber sein Blick kehrte immer wieder zu dem Klebeband und dem Messer zurück.
»Nein! Oh nein!« Er stolperte aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer. Wo sind sie bloß? Dann fiel sein Blick auf die Kellertür, und ihm wurde eiskalt. »Oh Gott.« Er hechtete hinüber, öffnete den Riegel und stürmte die Treppe hinunter, während er die ganze Zeit Ellens Bild vor Augen hatte, mit den blutigen Fleischfetzen anstelle ihrer Brust. Nein. Nein. Nein.
Als er sah, dass die Kühltruhe vor der Bunkertür stand, verspürte er zum ersten Mal einen Anflug von Hoffnung. Er trommelte gegen die Tür. »Linda! Linda! Abigail!«
»Jesse?« Das war eindeutig Lindas Stimme. »Jesse?«
Er schob die Kühltruhe beiseite und riss an der Klinke. Keine Chance. Jesse hämmerte gegen das Metall. »Linda, ich bin es! Jesse!«
Die Klinke bewegte sich, die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und eine zu Tode erschreckte Linda lugte heraus. Er riss die
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