Kratzer im Lack
hätte ich das sollen, dass er daheim war. Bei mir in der Küche hat er gesessen, hätte ich sagen sollen. Die ganze Zeit hat er bei mir in der Küche gesessen. Er hat mir beim Kartoffelschälen geholfen.
Aber diese Gedanken nützen nichts mehr.
Der junge Polizist steht nur herum. Man sieht ihm an, dass er sich langweilt.
Die Lena kommt herein, die Lena Paulus. Fast jeden Tag kommt sie mal herein, auf einen kleinen Schwatz. Früher hat sie Huber geheißen, Lena Huber, als sie noch zusammen in die Schule gegangen sind. Lena Huber und Johanna Zirngiebel. Es wohnen jetzt nicht mehr viele von den ganz Alten in der Straße. Die Ersten sind schon im Krieg ausgezogen, obwohl das Viertel kaum Bomben abbekommen hat. Andere haben sich hochgearbeitet, sind in eine bessere Gegend gezogen. Und manche sind auch einfach gestorben, so wie die alte Kaminski oder der Kecker Franz letztes Jahr.
»Grüß Gott, Lena.«
»Grüß Gott, Hannerl. Zwei Tafeln Schokolade brauche ich, eine Vollmilch, eine Nuss.«
»Kommen deine Enkel wieder?«
»Ja, heute Nachmittag.«
Die Lena mustert die beiden Polizisten mit ihren flinken Augen. Sie ist schon immer sehr geradeheraus gewesen, die Lena. Unverschämt, sagen die Leute, sie hat ein böses Mundwerk. Aber Frau Kronawitter weiß, dass man sich auf Lena verlassen kann. Sie weiß es aus der schlechten Zeit. Viel haben sie damals zusammen gemacht, sie und die Lena. Geholfen haben sie sich, bis ihre Männer wieder da waren.
»Wir haben Frau Kronawitter gerade gefragt, ob sie irgendwas gesehen oder gehört hat. Wegen dem Auto, das gestern beschädigt worden ist«, sagt der ältere Polizist.
»Ach so. Na, wenn Sie mich fragen, dem geschieht’s ganz recht. Kaum dass die alte Kaminski unter der Erde ist, geht das los.«
»Das hat damit nichts zu tun«, sagt der Polizist. »Mindestens dreihundert Mark Schaden hat der Täter verursacht.«
Frau Kronawitter fühlt sich durch Lenas Anwesenheit gestärkt. »Ich weiß nichts«, sagt sie fest. »Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Na ja, dann nichts für ungut, Frau Kronawitter. Dann gehen wir wieder. Grüß Gott.« Der jüngere Polizist stolpert, als er die Stufen hinuntersteigt.
»Vorsicht«, ruft Frau Kronawitter.
»Jetzt fragen die da rum wegen diesem Auto«, sagt die Lena böse. »Die sollten sich um die wirklichen Verbrecher kümmern. Hast du gelesen, heute steht wieder in der Zeitung, zwei junge Kerle haben einen Rentner umgebracht und ausgeraubt. Fünfundachtzig war er. Um solche Sachen sollten die von der Polizei sich kümmern.«
»Ja«, sagt Frau Kronawitter. »Letzte Woche ist auf dem Berliner Platz eine Frau zusammengeschlagen worden. Zwanzig Mark hat sie in der Handtasche gehabt. Da ist kein Polizist da gewesen, da nicht. Aber wegen einem Auto machen sie so ein Gescheiß. Dabei sieht der doch wirklich aus, als hätte er genug Geld, der Kerl. Wenn man schon so ein Auto fährt.«
Lena packt die Schokolade in ihre Einkaufstasche. Es sind immer dieselben, die ihre Einkaufstaschen mitbringen, und immer dieselben, die für einen Einkauf von zwei, drei Mark eine Tragtasche haben wollen. Dabei kostet eine Tragtasche zwölf Pfennig das Stück.
»Was schreibt die Gerda?«, fragt Lena.
»Gut geht es ihr. Sie arbeitet seit dem Ersten wieder im Büro, halbtags, jetzt, wo der Wolfgang so weit ist.«
»Du hast wirklich Glück mit deiner Gerda, das muss man sagen. Aber sie war schon immer ein braves Mädchen.« Lena hat ein hartes Gesicht.
Sie ist alt geworden, denkt Frau Kronawitter. Früher ist mir das gar nicht so aufgefallen. Traurig ist sie jetzt, sie denkt an Erika. Dass die auch nichts mehr von sich hören lässt. Einfach wegziehen und die Mutter im Stich lassen. Sterben könnte die Lena und die Erika würde nichts davon erfahren. Nicht mal zum Begräbnis würde sie kommen können, die Erika.
»Bis bald, Hannerl.«
»Bis bald, Lena.«
Frau Kronawitter schaut auf die Uhr. Gleich zwölf ist es, in ein paar Minuten wird sie sich auf den Heimweg machen können.
11.
Der Schreck kommt beim Mittagessen, als Herbert schon gar nicht mehr darauf gefasst ist.
»Jemand hat heute Nacht das Auto zerkratzt, das rote von dem Kerl«, sagt die Mutter.
»Von der Kaminski?«
»Ja.«
»Wer war das?«, fragt der Vater, aber nicht sehr interessiert.
»Das weiß man nicht. Die Polizei ist heute Morgen hier gewesen und hat alle gefragt, ob sie etwas gesehen haben. Frau Schwab war in der Drogerie und hat es mir erzählt.«
»Und wann soll das gewesen
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